Tierschutzhundeverordnung: Novellierung für eine tierschutzgerechte Haltung und Nutzung der Hunde?

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Tierschutzhundeverordnung: Novellierung für eine tierschutzgerechte Haltung und Nutzung der Hunde? Thomas Reimer – stock.adobe.com

„Der Hund zählt zu den beliebtesten Haustieren in Deutschland. Im Übrigen ist gerade in der bisherigen Corona-Hochphase die Zahl der von Privathaushalten angeschafften Haustiere angestiegen. Der richtige Umgang mit Haustieren, das Wissen darum, ist wichtig. Zurück zum Hund: 2019 waren es über neun Millionen Tiere in unserem Land. In fast jedem fünften Haushalt lebt ein Hund (19 Prozent). Als Bundesministerium setzen wir uns für eine tierschutzgerechte Haltung und Nutzung der Hunde ein.“

Mit diesen Worten beginnt die Presseerklärung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zur Änderung der Tierschutzhundeverordnung. Das liest sich gut und vielversprechend. Doch warum steht gerade die Hundehaltung derart im Mittelpunkt der Änderungen des Tierschutzrechts? Bei der Betonung der Anzahl der in deutschen Haushalten lebenden Hunde könnte man leicht der Vermutung verfallen, dass die tierschutzrechtliche Relevanz der Neuordnung in den Hintergrund tritt und das Ministerium lediglich eine Reduktion der Hundezahlen beabsichtigt. Die einmal mehr als stiefmütterliche Behandlung der sogenannten Nutztiere im Zuge der tierrechtlichen Änderungen verstärkt diesen Eindruck scheinbar noch. Betreibt die Bundesregierung hier eine „ethisch-tierschutzrechtliche Mimikry“? Wendet sie sich den Hundehaltern zu, weil sie hier relativ einfach dem Staatsziel Tierschutz, wie in Artikel 20a Grundgesetz formuliert, nachkommen kann, weil ein Abstellen der Tierschutzdefizite im Bereich der ‚Nutztier‘-Haltung gegen die Lobby der Landwirtschaft bzw. der Fleischwirtschaft nahezu unmöglich ist?

Diese und andere brisante ethisch-wirtschaftlichen und tierschutzrechtlichen Fragen stehen im Zentrum eines höchst aufschlussreichen Interviews, das die ATN mit dem Tierethiker Professor Jörg Luy in puncto Verschärfung des Tierschutzrechts im Falle der Hundehaltung und -zucht führte.

Hundehalter und -züchter im Fokus der Änderungen – ein Interview mit Professor Dr. Jörg Luy

ATN: Herr Professor Luy, Mitte August 2020 wurde in Berlin ein Entwurf für verschiedene Änderungen im Tierschutzrecht vorgestellt. Betroffen ist insbesondere die Tierschutz-Hundeverordnung. Unter den Hundehaltern sorgt das für viel Aufregung. Können Sie uns eine Einschätzung geben, welche langfristigen Ziele die Bundesregierung in Bezug auf die Hundehaltung verfolgt? Soll am Ende die Zahl der Hunde in Deutschland reduziert werden?

Luy: Dieser Eindruck könnte tatsächlich für einen Augenblick entstehen; aber hinter der Verschärfung des Tierschutzrechts in Bezug auf Hunde steckt etwas anderes. Zum einen geht es darum, den Veterinärämtern Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, mit denen sie juristisch effektiver gegen eigentlich schon heute illegale Praktiken vorgehen können. Das Tierschutzrecht ist an vielen Stellen sehr dehnbar formuliert und jetzt werden ein paar Klarstellungen vorgenommen. Zum zweiten muss das Landwirtschaftsministerium Defizite im Tierschutz analysieren und abstellen. Dazu ist es durch das Staatsziel Tierschutz (Art. 20a GG) verpflichtet. Weil es jedoch politisch fast unmöglich ist, gegen den Willen der Landwirtschaft und der Fleischwirtschaft Tierschutzdefizite bei den sogenannten „Nutztieren“ abzustellen, arbeitet es diesen Verfassungsauftrag an der Hundehaltung ab. Es hätte genauso gut auch die Pferde-, die Katzen- oder andere Heimtierhalter treffen können. Die Hundehaltung in ihrem Umfang zu verringern, liegt dabei überhaupt nicht im Interesse der Politiker, die – ganz im Gegenteil – genau wissen, dass ihre Beliebtheitswerte steigen, wenn sie sich tierlieb zeigen. Wer sich demgegenüber kritisch zur Hundehaltung äußert, wird als gefühllos und kalt wahrgenommen; für Politiker wäre das ein Eigentor.

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Zukünftig nimmt die neue TierSchHuV alle in den Fokus. (© DoraZett – stock.adobe.com)

Neuerungen als Risiken für Hundeschulen und Hundepensionen?

ATN: Den Hundezüchtern soll demnächst vorgeschrieben werden, wie viele Tiere von jeweils einer fachkompetenten Person gehalten werden dürfen. Birgt diese Festlegung für Hundeschulen, Hundetagesstätten etc. ein Risiko?

Luy: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht, da Hundeschulen und Hundetagesstätten – anders als Hundevermehrer – kein Dauerproblem für die Veterinärämter bzw. die mit dem Tierschutzvollzug beauftragten Amtstierärzte sind. Rund um den Welpenhandel haben sich rechtswidrige, zum Teil sogar kriminelle Strukturen entwickelt, die für erhebliches Tierleid und großen Ärger in der Bevölkerung verantwortlich sind. Das Ziel des Entwurfes besteht darin, leicht messbare Größen in das Tierschutzrecht einzuführen, um Rechtssicherheit herzustellen, d.h. um behördliche Maßnahmen bei Missständen juristisch abzusichern. Hundetrainer genießen demgegenüber in der Bevölkerung einen guten Ruf und ein hohes Ansehen. Sie verursachen in aller Regel keine Probleme, sondern lösen welche. Aus tierärztlicher Sicht gibt es keinen Grund, hier gesetzgeberisch tätig zu werden.

ATN: Beim Thema Qualzucht argumentiert der VDH damit, dass das Ausstellungsverbot die „Falschen“ treffe, da ja Zuchtverbände eigentlich das Wohl der Hunderassen im Auge hätten. Wie schätzen Sie das ein?

Luy: Die einzigen Hunde, deren Vermehrung die zahlreichen züchtungsbedingten Gesundheitsprobleme verringert, sind Mischlinge. Im Hinblick auf die Tiergesundheit ist die menschengesteuerte Fortpflanzung in aller Regel mehr Problem als Lösung, allen Beteuerungen zum Trotz. Denn das Phänomen der sog. „Qualzucht“ entsteht fast automatisch, wenn der Mensch über einen längeren Zeitraum durch gezielte Züchtung – auf für Menschen attraktive Merkmale – in die natürliche Selektion eingreift. In der Natur beugt die Evolution mit ihrer Bevorzugung der fittesten Individuen jeder Qualzucht vor. Insofern halte ich die Argumentation der Zuchtverbände für schwer nachvollziehbar. Aus tierärztlicher Sicht ist es vielmehr so, dass das Ministerium das Ausstellungsverbot schon viel früher hätte in Betracht ziehen sollen.

tiertransporte durch die neue verordnung wird sich nur wenig verbessern

Tiertransporte – Durch die neue Verordnung wird sich nur wenig verbessern. (© ahavelaar – stock.adobe.com)

Nutztiere bleiben bei der Neufassung der Tierschutzverordnungen die Leidtragenden

ATN: Wie lässt es sich erklären, dass gerade im Bereich der Hunde beinahe bei jedem Paragraphen maßgebliche Veränderungen vorgenommen wurden, für die Nutztiere jedoch bisher derartige Bemühungen in weitesten Teilen fehlschlagen? Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Luy: Die Begründung für diese Schieflage berührt das deutsche Selbstverständnis, das sich während der ersten Nachkriegsjahrzehnte in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ gebildet hat. Wer respektiert sein wollte, musste wirtschaftlich erfolgreich sein. In der Folge entwickelte sich die Bundesrepublik zum ökonomischen Musterknaben. Da aber der Rest der Welt inzwischen aufgeholt hat, ist das seit langem kein Selbstläufer mehr. Für die Politik bedeutet dies, dass jedes Segment der Wirtschaft mit Samthandschuhen anzufassen ist. Obwohl seit vielen Jahren etwa neun von zehn Deutschen Verbesserungen im Umgang mit den Tieren in der Landwirtschaft fordern, kann oder will sich die Politik nicht gegen die Land- und Ernährungswirtschaft durchsetzen. Egal ob es sich um Tiertransporte, betäubungslose Ferkelkastration, den Kastenstand der Sauen oder – ganz aktuell – den Ausstieg aus der Eintagskükentötung handelt, die auf Verzögerung abzielende Politik wird letztlich von der Land- und Ernährungswirtschaft gemacht, nicht vom Volk. Oder anders formuliert: Würden die einzelnen Hundehalter ihre Tiere halten, um mit ihnen ihr Einkommen zu generieren, Arbeitsplätze und Umsatz zu schaffen, wäre die Tierschutz-Hundeverordnung genauso harmlos wie die Tierschutz-Transportverordnung.

ATN: Ein gutes Stichwort. Wie stehen Sie zu den „Neuerungen“ im Bereich der Tiertransporte? Geht das weit genug?

Luy: Tiertransporte sind bis heute miserabel geregelt. Eine Begrenzung der Tiertransportdauer wird seit Jahrzehnten von der Bevölkerung, den Tierschutzorganisationen und den Medien angemahnt. Das hätte man jetzt umsetzen können, wenn man gewollt hätte. Aber die Tierschutz-Standards sind deswegen so niedrig, weil sich dadurch viel Geld sparen lässt. Die jetzt geplante Begrenzung der Tiertransportdauer innerhalb Deutschlands auf viereinhalb Stunden, falls die Temperaturen im Transporter zwischenzeitlich mehr als 30 Grad erreichen können, ist kaum mehr als Augenwischerei. An den meisten Tagen des Jahres lässt sich die Vorschrift dadurch erfüllen bzw. umgehen, dass Tiertransportfahrzeuge mit Ventilatoren eingesetzt werden. Die neue Regelung bewirkt praktisch nur, dass bei innerstaatlichen Beförderungen zu einem Schlachthof, deren Dauer über viereinhalb Stunden bis zu acht Stunden beträgt, Transportmittel verwendet werden müssen, die über Ventilatoren verfügen, so dass auch während der für den Fahrer vorgeschriebenen Standzeiten die Temperatur im Innenraum im Bereich der Außentemperatur gehalten werden kann. Für einen innerstaatlichen Transport von Nutztieren zu einem Schlachthof von über acht Stunden gilt wie bisher § 10 der Tierschutz-Transportverordnung. Für die Tiere wird sich durch die neue Vorschrift nur wenig verbessern.

Profiteure der Neuerungen der Tierschutzhundeverordnung

ATN: Haben Sie insgesamt den Eindruck, dass diese Verordnung am Ende des Tages möglicherweise der Politik mehr nutzt als den Tieren?

Luy: Ja, den Eindruck kann man schon gewinnen. Zuzugeben ist allerdings, dass es sich bei den meisten der geplanten Änderungen um kleine Verbesserungen für die Tiere handelt. Dass den landwirtschaftlich genutzten Tieren wieder einmal kaum geholfen wird, ist dem Einfluss der Land- und Ernährungswirtschaft zu verdanken. Für die Politik liegt der Nutzen dieses Entwurfs trotz seiner Unausgewogenheit darin, sich mit ihm als tierfreundlich präsentieren zu können. Und das hat, wie schon angesprochen, größeren Einfluss auf die Sympathiewerte – bei Hundehaltern und Nicht-Hundehaltern.

ATN: Wie schätzen sie die Lobby der Hundehalter in Deutschland ein? Werden die wirtschaftlichen Folgen der Hundehaltung in der Politik genügend gewürdigt?

Luy: Verglichen mit dem Einfluss der Fleischwirtschaft ist die Lobby der Hundehalter natürlich schwächer. Die veterinärmedizinischen Berufsverbände, die schon wegen der tierärztlichen Zuständigkeit für den Vollzug des Tierschutzgesetzes und der Lebensmittelüberwachung traditionell über erheblichen Einfluss im Bundeslandwirtschaftsministerium verfügen, haben unlängst beklagt, dass sie sich beim Tierschutz kaum noch Gehör verschaffen können. Da kann ich mir vorstellen, dass die Hundehalter dieses Problem ebenfalls kennen. Andererseits bin ich überzeugt davon, dass auch den Wirtschaftszweigen, die mit der Hundehaltung ihr Geld verdienen, Hilfe nicht verweigert werden wird, sollte die Zahl der Hunde doch einmal abnehmen, beispielsweise weil Hunderoboter ihnen Konkurrenz machen.

Der KI-gesteuerte Hunderoboter – eine Lösung für die Zukunft?

der hund der zukunft ein roboter

Der Hund der Zukunft – ein Roboter? (© Sarah Holmlund – stock.adobe.com)

ATN: Kann man sich denn in der Zukunft eine Gesellschaft ohne Hunde vorstellen? Können intelligente KI-gesteuerte Hunderoboter echte Hunde ersetzen? Und wäre dieser in Japan gerade wieder heiß diskutierte Ansatz tatsächlich eine denkbare Lösung?

Luy: Im 17. Jahrhundert hat der Philosoph René Descartes die Frage aufgeworfen, wie Tierroboter auf Menschen wirken würden. Auch wenn seine Roboter gedanklich an Taschenuhren angelehnt und komplett mechanisch gedacht waren, ist seine Überlegung bis heute plausibel. Etwas vereinfacht besagt sein Argument, dass Roboter insofern anders sind, als ihre programmierten Reaktionen nicht auf eigenes Empfinden und Bewerten zurückzuführen sind, sondern auf einen mehr oder weniger komplexen Algorithmus. Für sensible Menschen ist das „Verhalten“ der Roboter dadurch letztlich nicht authentisch. Auch wenn eine Modewelle mit Hunderobotern vorstellbar ist, kann ich mir nicht denken, dass selbst die raffiniertesten Tierroboter jemals Kontakte mit echten Tieren in größerem Umfang ersetzen werden. Der Unterschied zwischen dem Tierroboter und dem echten Tier wird vermutlich für Kinder und für Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen eine weniger große Rolle spielen, weswegen anzunehmen ist, dass sich der Markt mit zunehmendem technischen Fortschritt von diesen zwei Seiten ausdehnen wird. Für gesunde Erwachsene jedoch kann kein Roboter jemals ein echter Ersatz für eine andere lebende Seele sein. Da bin ich mir ziemlich sicher.

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