Jagd und Hund gehören oft zusammen. Anpirschen – Orten – Fixieren – Hetzen – Packen – Töten – Zerreißen – Fressen: das sind die Sequenzen der Jagd nach Coppinger & Coppinger (2001). Bei vielen Hunden – nicht nur bei Jagdhunden – ist die jagdliche Motivation stark ausgeprägt. Doch meist werden in Abhängigkeit von Individuum und Rasse nicht alle Sequenzen gezeigt. Zudem ist das Jagdverhalten bei unseren Hunden meist von Hunger entkoppelt. Dennoch ist Jagen für den Beutegreifer Hund mit starken positiven Emotionen, oft hoher Erregung und selektiver Aufmerksamkeit verbunden. Warum sich Jagdverhalten so gut anfühlt, weshalb das Ignorieren des Besitzers im Jagdrausch oft keine bewusste Entscheidung ist, und was dabei im Gehirn und im Körper des Hundes passiert, erklärt dieser Artikel.
Jagdinstinkt bei Hunden – Ergebnis der Evolution
Biologisch gesehen zählen Hunde zu den Beutegreifern – und Jagen ist ein Verhalten, welches für Beutegreifer normalerweise zum Überleben unabdingbar ist (Zhao et al., 2019). Mit rund 30,000 Jahren ist die Zeit der Domestikation des Haushunds aus evolutionärer Sicht eher kurz, und obwohl die meisten freilebenden Hunde sich heute überwiegend von Abfällen ernähren (Bradshaw, 2006), war es für die Vorfahren unserer Haushunde überlebensnotwendig zu jagen. Wenn ein Verhalten derart wichtig für das Überleben ist, muss die Motivation, dieses Verhalten auszuführen, stark sein und ein Tier darf auch bei Misserfolg nicht sofort aufgeben. So hat die Evolution dafür gesorgt, dass die Sequenzen der Jagd sich für den Hund bzw. dessen Vorfahren gut anfühl(t)en, umgangssprachlich also „selbstbelohnend“ sind.
Jagdverhalten ist keine Aggression
Obwohl Beutefangverhalten manchmal als „Beutefangaggression“ oder „nichtaffektive Aggression“ bezeichnet wird, hat Jagdverhalten mit Aggression an sich nichts zu tun. Aggression dient dem Entfernen eines anderen Individuums aus der unmittelbaren Umgebung, um die eigene körperliche Unversehrtheit, Ressourcen, den Nachwuchs oder Sozialpartner zu schützen. Die Attacke von Beutetieren dient hingegen dem Erwerb von Nahrung (O’Boyle, 1974). Zumindest ist dies ihr evolutionär bedingter Sinn, auch wenn bei vielen Haushunden die Jagdsequenz nur unvollständig ausgeführt wird und Jagdverhalten von Hunger entkoppelt ist.
Während Aggressionen im Allgemeinen mit negativen Emotionen verbunden sind, hat die neurobiologische Forschung gezeigt, dass die zugrunde liegende Emotion von Jagdverhalten SEEKING ist, eine starke positive Emotion, welche mit Vorfreude, Neugier und Antrieb verbunden ist (Panksepp & Biven, 2012). Der Begriff „nichtaffektiv“ ist also eigentlich auch nicht richtig. Der Begriff bezieht sich darauf, dass Tiere beim Jagen keine kommunikativen Signale wie Drohverhalten oder Anzeichen von Zorn zeigen (O’Boyle, 1974). Dafür sind aber starke positive Emotionen beim Jagdverhalten aktiv – weshalb es auch gar nicht so einfach ist, Hunde vom Jagen abzuhalten.
Mögliche Auslöser der Jagdkaskade bei Hunden
Bestimmte Bewegungen und Geräusche sind starke Auslöser von Jagdverhalten (Procacci & Hoy, 2019; Zhao et al., 2019), seltener suchen Hunde aktiv einen Auslöser. Neurobiologische Studien haben die Zona incerta, eine Region im Mittelhirn, als maßgeblich in der Verarbeitung jagdspezifischer Sinnesreize identifiziert. Hier werden verschiedenste Sinnesreize, die mit Beute in Zusammenhang stehen, verarbeitet und initiieren in Folge motiviertes Beutefangverhalten. Werden schnelle Bewegungen eines Objekts wahrgenommen, das ins Beutespektrum passt, feuern besonders viele Neuronen in dieser Region, und je mehr verschiedene Sinnesreize auf Beute hinwiesen, desto stärker ist diese neuronale Aktivität (Procacci & Hoy, 2019). Gerüche wurden in den genannten Studien nicht erwähnt, jedoch ist die Zona incerta über Nervenverbindungen mit dem Riechkolben (jene Region im Gehirn, welche Gerüche verarbeitet) verbunden.
Der Nase nach: Jagen beginnt schon vor dem Hetzen
Tatsächlich wurde die Rolle des Geruchssinns und dessen neurobiologische Verarbeitung in Bezug auf Jagdverhalten vergleichsweise wenig untersucht, obwohl der Geruchssinn zum Auffinden der Beute bei den meisten Mitglieder der Ordnung „Carnivora“, zu der auch Hundeartige zählen, bedeutsam ist. Interessantes Detail am Rande: je größer der Bewegungsradius der Art, desto größer ist der Riechkolben im Gehirn ausgeprägt (Taoogunov, 2017).
Im Gegensatz zum normalen Atmen ist beim Schnüffeln die Atemfrequenz erhöht, um das Auffinden des Zielgeruchs zu erleichtern. Zumeist wird das Umschwenken von normaler Atmung auf Schnüffeln durch die Großhirnrinde oder emotionsverarbeitende Bereiche im Gehirn gesteuert, seltener geschieht es auch unbewusst (de los Cobos Pallares et al., 2016). Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass beim Schnüffeln das SEEKING System stark aktiviert ist – das Suchen mit der Nase hat also einen hohen Belohnungswert (Panksepp & Biven, 2012). Um ihre Beute aufzuspüren, müssen Beutegreifer der Geruchskonzentration (von gering nach hoch) folgen (Taoogunov, 2017). Die Lokalisation der Quelle des Geruchs wird dadurch erleichtert, dass Hunde mit jedem Nasenloch unabhängig voneinander schnüffeln können (Lazarowski et al., 2020).
Wie Hunde ihre Nase einsetzen
Die Nase kann bei der Suche nach Zielgerüchen unterschiedlich eingesetzt werden. Manche Rassen suchen verstärkt nach Duftmolekülen in der Luft, suchen also eher mit hoher Nase. Dies ist vor allem in offenen Gebieten von Vorteil, wenn noch keine Spur gefunden wurde. Es ermöglicht das Absuchen weiter Gebiete in relativ kurzer Zeit und ist insbesondere dann effizient, wenn es etwa gilt, Beute zu finden, welche sich nicht bewegt.
Beim Suchen mit tiefer Nase fokussiert der Hund mehr auf Gerüche am Boden oder auf anderen Strukturen. Das Verfolgen von Spuren ermöglicht es, auf direktem Weg die Quelle des Geruchs zu finden. Natürlich gibt es immer Überlappungen zwischen dem Suchen mit hoher oder tiefer Nase, da alle Geruchsmoleküle in der Luft transportiert werden. Welche Suchtechnik ein Hund anwendet, ist abhängig von der Rasse sowie von individuellen (Trainings-)Erfahrungen (Lazarowski et al., 2020).
Rassetypische Unterschiede im Jagdverhalten
Bei verschiedenen Rassen wurden verschiedene Sequenzen der Jagdverhaltenskette durch die Zuchtauswahl unterschiedlich selektiert – das bedeutet, dass verschiedene jagdliche Sequenzen für verschiedene Rassen unterschiedlich wichtig oder „selbstbelohnend“ sind. Beim Pointer etwa wurden das Schleichen und das Verharren (also Vorstehen) extrem stark herausgezüchtet, so dass keine Belohnung von außen notwendig ist, damit dieses Verhalten gezeigt oder erhalten wird (Lazarowski et al., 2020).
Bei Hütehunden sind das Anschleichen und auch Hetzen stark ausgeprägt. Auch innerhalb der Gruppe der Hütehunde gibt es starke Verhaltensunterschiede durch selektive Züchtung: Rassen, welche verstärkt für den Schutzdienst gezüchtet wurden, wie Deutsche Schäferhunde, zeigen gerne sowohl Sequenzen des Orientierens und Hetzens, als auch das Packen (Lazarowski et al., 2020).
Jagdhunde – Spezialisten im Einsatz
Retriever, die zur Wasservogeljagd gezüchtet wurden, jagen eher mit den Augen als mit der Nase und merken sich, wo ein Vogel niedergegangen ist. Andere Rassen setzen die Nase viel stärker ein, um Beute aufzuspüren. Dazu zählen Vorstehhunde, deren Aufgabe das Anzeigen von Beute ist, und manche Retrieverrassen oder Spaniels, die bei der Vogeljagd an Land eingesetzt werden und das Wild aufscheuchen sollen (Lazarowski et al., 2020). Viele Terrier wurden dafür gezüchtet, kleine Säugetiere (v.a. Nagetiere) zu fangen und auch zu töten (Case, 2010; Kim et al., 2018).
Bei Windhunden lässt sich vor allem Orientierungsverhalten beobachten; die Schleichphase ist jedoch kurz oder gar nicht vorhanden, und diese Hunde gehen somit sehr schnell zum Hetzen über. Häufig ist auch die Sequenz des Packens stark ausgeprägt. Auch das Töten ist oft Teil des jagdlichen Repertoires von Windhunden (Howell & Bennett, 2020).
Generell gilt natürlich: jeder Hund ist ein Individuum und jagdliche Vorlieben können individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Da das Jagdverhalten bei Haushunden meist von der Nahrungssuche entkoppelt ist, gelingt es nur selten, den Hund durch einfache Gabe von Futter vom instinktiven Jagdverhalten abzuhalten. Jedoch kann durch gezielte Verstärkung die Wertigkeit einzelner erwünschter Jagdverhaltenssequenzen (beispielsweise das Orientierungsverhalten) erhöht werden, so dass diese häufiger und länger gezeigt werden: ein Hund, der beispielsweise mit Anzeigen von Wild beschäftigt ist, hetzt nicht.
Emotionale Steuerung der jagdlichen Fokussierung
Das Teilen der Aufmerksamkeit ist für einen Hund sehr anstrengend.Vor allem, wenn viele Reize auf ihn einwirken: starke Gerüche, vielleicht sogar Bewegungsreize, und gleichzeitig die Signale des Besitzers. Ein Beutetier nicht zu verfolgen, die Kontrolle des „Jagdinstinkts“, ist für Hunde eine große Herausforderung.
Die Menge an Reizen, welche ein Gehirn auf einmal verarbeiten kann, ist begrenzt. Ein Tier muss also (meist unbewusst) eine Entscheidung treffen, worauf es seine Aufmerksamkeit richten soll. Emotionen signalisieren dem Tier, was gerade in der Umwelt wichtig ist und steuern die Aufmerksamkeit auf den im Moment relevantesten Reiz (Alcaro et al., 2007; Gygax, 2017). So wird etwa bei großer Angst vorübergehend aufs Fressen verzichtet, selbst wenn da Tier eigentlich hungrig wäre (Alcaro et al., 2007; Gygax, 2017).
Umgekehrt zeigen Tiere auch eine hohe Bereitschaft, Aufmerksamkeit auf Reize zu richten, welche mit besonders starken positiven Emotionen verbunden sind – derartige Reize besitzen eine höhere Salienz, das heißt, sie finden leichter Eingang in die Aufmerksamkeit des Tieres. Zweifellos haben jagdliche Reize für Beutegreifer eine hohe Salienz (Erkennbarkeit) und werden folglich besonders leicht priorisiert. Da nicht alle Reize gleichermaßen verarbeitet werden können, wird auf neuronaler Ebene die Aktivität jener Neuronen (Nervenzellen), welche für den relevanten Stimulus zuständig sind, erhöht, während die Aktivität von Neuronen für andere Tätigkeiten unterdrückt wird (Dukas, 2002).
Aus neurobiologischer Sicht ist es also verständlich, dass ein Hund während der Jagd alle Sinne auf das jagdbare Objekt richtet und der Ruf des Besitzers es gegebenenfalls gar nicht schafft, die Aufmerksamkeitsschwelle des Hundes zu überschreiten. Verfolgt ein Tier ein (evolutionär) wichtiges Ziel, werden andere Motivationen vorübergehend abgestellt (Cosmides & Tooby, 2000).
Hohes Erregungsniveau erschwert Impulskontrolle
Dazu kommt bei jagdlich motivierten Hunden meistens ein hohes Erregungsniveau (Howell & Bennett, 2020). Erregung bezeichnet eine physiologische und psychologische Aktivierung, die zu einem Zustand erhöhter Wachsamkeit und Aufmerksamkeit führt. Körperliche Merkmale für eine erhöhte Erregungslage sind beispielsweise ein Anstieg der Herzrate und des Blutdrucks, eine Erweiterung der Pupillen und eine Veränderung der Hautleitfähigkeit (Starling et al., 2013), alles Anzeichen einer erhöhten Aktivität des sympathischen Nervensystems (Teil der Stressreaktion).
Bis zu einem gewissen Grad wirkt sich Erregung positiv auf Lernfähigkeit und Leistung aus. Steigt das Erregungsniveau jedoch weiter an, fällt die Leistung ab (das Yerkes-Dodson Law“ nach (Yerkes & Dodson, 1908). In einer Studie zeigte sich, dass Hunde unter einem hohen Erregungsniveau nicht einmal mehr fähig waren, eine relativ einfache kognitive Aufgabe (einen Umweg zu einer Belohnung laufen) zu lösen – und dies, obwohl sie hoch motiviert waren, die Belohnung zu erhalten (Bray et al., 2015).
Es ist also keine Absicht, wenn Hunde bei hoher Erregung die Signale des Menschen nicht mehr richtig verarbeiten können. Um hier wieder ins Hundehirn durchzudringen wäre einerseits eine Senkung des Erregungslevels wichtig, andererseits aber die Salienz der Signale des Menschen. Ist der Rückruf beispielsweise extrem stark positiv belegt, wird das Gehirn des Hundes diesen eher als wichtig einstufen und die Chance, dass er seine Aufmerksamkeit in einer hohen Erregungslage trotzdem auf diesen richten kann, steigt.
Was passiert beim Jagen im Körper des Hundes?
Eine physiologische Stressreaktion ist adaptiv, indem sie den Körper auf den Jagdvorgang vorbereitet. Das sympathische Nervensystem wird beim Jäger, ähnlich wie auch beim Gejagten, aktiviert (Comoli et al., 2003). Beginnend mit dem Orientierungsverhalten wird die Aufmerksamkeit geschärft und relevante Sinnesreize werden umso deutlicher wahrgenommen, während (vermeintlich) irrelevante Reize eher ausgeblendet werden. Der Blutfluss zur Skelettmuskulatur wird als Anpassung an das zu erwartende Rennen verstärkt. Herzrate und Atmungsfrequenz steigen ebenfalls an, um dem erhöhten Sauerstoffbedarf der Muskeln bei körperlicher Anstrengung gerecht zu werden. Alle diese körperlichen Veränderungen scheinen bereits bei Auffinden der Jagdbeute einzutreten, bevor das Hetzen (oder im Fall von menschlichen Jägern, der Schuss) überhaupt beginnt (Stedman & Heberlein, 1997). Der Organismus stählt sich für die Jagd.
Bei Hunden wurde nachgewiesen, dass eine Stressreaktion nicht nur durch Wildkontakt selbst ausgelöst wird, sondern dass das Erregungsniveau bereits in Erwartung der Jagd ansteigt. Eine Studie, in der Speichelcortisol bei Hunden gemessen wurde, ergab, dass die Cortisolwerte bei Pointern, welche die Aufgabe hatten, Federwild aufzuscheuchen, bereits vor Beginn der Jagd im Vergleich zum Basalniveau erhöht waren. Nach der Jagd war das Cortisol noch weiter angestiegen. Bei Hunden, die für die Nachsuche von Schalenwild eingesetzt wurden, wurden hingegen keine signifikanten Cortisolveränderungen verzeichnet (Colussi et al., 2018).
Cortisol
Cortisol wird häufig als Indikator dafür verwendet, wie gestresst ein Tier (im Sinne von negativem Stress oder Distress) ist. Jedoch wird Cortisol genauso auch in positiven Zusammenhängen, z.B. bei Balzverhalten, Kopulation und eben auch Jagdverhalten, ausgeschüttet. Eine erhöhte physiologische Erregung bedeutet also nicht unbedingt schlechtes Wohlergehen des Tieres (Zenithson et al., 2014) – auf physiologischer Ebene kann zwischen „positivem“ und „negativem“ Stress nicht unterschieden werden.
Kommt es zum Hetzen, kommen physiologische Veränderungen durch die körperlichen Anstrengung dazu. Neben der erhöhten Produktion von Noradrenalin und Adrenalin aus der Nebennierenrinde (Péronnet et al., 1982; Radosevich et al., 1989) werden beim Rennen auch endogene Opioide ausgeschüttet. Dazu zählen Enkephaline, welche das Schmerzempfinden verringern, und β-Endorphine (Péronnet et al., 1982). All diese Botenstoffe können beim hetzenden Hund in Kombination mit Dopamin noch zusätzlich positive Gefühle erzeugen.
Was passiert beim Jagen im Kopf des Hundes?
Die Verhaltenskette der Jagd ist komplex: alle Schritte von Orientierungsverhalten über Fixieren, Annäherung, und Attacke/ Fangen der Beute haben unterschiedliche sensomotorische Anforderungen und werden durch verschiedene neuronale Schaltkreise verarbeitet (Procacci & Hoy, 2019). Viele Aspekte des Jagdverhaltens und deren neuronale Basis sind aber immer noch unzureichend erforscht (Zhao et al., 2019).
Zudem wurden Studien zur Neurobiologie von Jagdverhalten zumeist an Katzen, Ratten und Mäusen durchgeführt (Anmerkung: Ratten jagen Mäuse, und Mäuse jagen Insekten), außerdem an Fischen, Amphibien und Reptilien. Die meisten dieser Tiere sind Lauerjäger oder Schleichjäger. Sie warten also still und möglichst gut getarnt, bis eine nichtsahnende Beute vorbeikommt. Bis zum Zeitpunkt der Attacke bleibt der Angreifer regungslos, um die Beute nicht frühzeitig auf sich aufmerksam zu machen. Alternativ schleichen sie sich an die Beute an; ihre Bewegungen sind dabei nahezu lautlos, langsam und kontrolliert.
Im Gegensatz dazu zählen Hunde zu den Hetzjägern. Mir sind keine neurobiologischen Studien bekannt, in welchen das Jagdverhalten von Hetzjägern untersucht wurden – die gleichzeitige Messung von Gehirnfunktionen während das Tier hetzt, wäre auch schwierig zu bewerkstelligen. Nachfolgende Informationen basieren daher auf Studien an den oben genannten Arten.
Jagdmotivation entsteht im Gehirn des Hundes
Zu den wichtigsten Bereichen, welche Jagdverhalten auslösen, gehören der laterale (=seitliche) Hypothalamus, die Zona incerta, welche sich im Mittelhirn unterhalb dem Thalamus befindet und eng mit dem Hypothalamus verknüpft ist, sowie das zentrale Höhlengrau.
Das Mittelhirn
Das Mittelhirn (Mesencephalon) gehört zum Hirnstamm und liegt zwischen der Brücke (Pons) und dem an das Großhirn angrenzenden Zwischenhirn (Diencephalon). Es spielt eine wichtige Rolle in der Bewegungskoordination und hat außerdem Funktionen bei der Steuerung von Aufmerksamkeit und Motivation.
Das zentrale Höhlengrau ist ein evolutionär alter Bereich, der tief im Mittelhirn gelegen ist. Neben der Regulation von Schmerzempfinden ist es in die Verarbeitung aller Basisemotionen involviert. Es hat außerdem Verbindungen mit dem Stammhirn, mit welchem es lebensnotwendige Vorgänge wie die Atmung reguliert, und mit dem Hypothalamus. Der Hypothalamus ist ein wichtiges Zentrum für emotionale Verarbeitung, Steuerung des Hormonhaushalts und reguliert auch Bedürfnisse wie Hunger, Durst und sexuelles Verlangen.
Der laterale Hypothalamus ist dafür bekannt, dass er für motiviertes Verhalten verschiedenster Art eine wichtige Rolle spielt, unter anderem für die Nahrungsaufnahme. Auch in Bezug auf Jagdverhalten scheint er eine Schlüsselrolle einzunehmen – wobei unterschiedliche Populationen von Neuronen für Nahrungsaufnahme und Jagdverhalten zuständig sind (Li et al., 2018).
Sowohl im lateralen Hypothalamus, als auch in der Zona incerta konnten Neuronen identifiziert werden, welche unabhängig von Hunger Beutefangverhalten auslösen (Li et al., 2018; Zhao et al., 2019) – obwohl Jagdverhalten bei Hunger tendenziell verstärkt gezeigt wird, wie Studien an Katzen und Mäusen ergeben haben (Adamec, 1976; Biben, 1979; Zhao et al., 2019). Beide dieser Regionen sind wiederum mit dem Zentralen Höhlengrau verbunden (Li et al., 2018; Zhao et al., 2019).
Sequenzen der Jagd neurobiologisch nachvollzogen
Nachdem die beutespezifischen Sinnesreize in der Zone incerta verarbeitet wurden (Procacci & Hoy, 2019), ist Aktivität im Zentralen Höhlengrau maßgeblich daran beteiligt, die Annäherung an die Beute auszulösen. Unter anderem löst das Zentrale Höhlengrau auch eine Erregung des sympathischen Nervensystems (Stressreaktion) und eine Verringerung des Schmerzempfindens aus (Comoli et al., 2003). Die sympathische Aktivität bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor; ein verringertes Schmerzempfinden kann adaptiv sein, wenn man beispielsweise mit wehrhafter Beute konfrontiert ist. Vielleicht einer der Gründe, warum Hunde beim Jagen ein Dornengestrüpp nicht einmal bemerken und selbst starke aversive Reize im Jagdrausch oft einfach überlaufen werden.
Kerne im Mittelhirn, insbesondere der Superior Culliculus am Dach des Mittelhirns, kontrollieren zusammen mit dem Zentralen Höhlengrau die Bewegungen für die Ausführung des Jagdvorganges (Procacci & Hoy, 2019). Auch die Amygdala (deutsch Mandelkern) trägt zum Fangen der Beute bei (Zhao et al., 2019). Früher als „Angstzentrum“ angesehen, weiß man heute, dass die Amygdala allgemein dafür sorgt, dass neue Reize blitzschnell als positiv oder negativ eingeschätzt werden, um auf überlebenswichtige Umweltreize möglichst schnell und richtig reagieren können.
Weitere Strukturen, welche beim Jagdverhalten eine Rolle spielen, sind der Thalamus (eine Schaltstelle für alle Sinnesreize außer dem Geruchssinn), das Cerebellum (welches allgemein für Bewegungskoordination bekannt ist) und das das ebenfalls im Mittelhirn gelegene ventrale tegmentale Areal (Li et al., 2018). In letzterem wird der Neurotransmitter Dopamin produziert, welcher eine Voraussetzung für alles motiviertes Verhalten darstellt.
Anders als bei Fischen, Reptilien und Vögeln konnte bei Säugetieren zudem ein Einfluss der Großhirnrinde (Cortex) auf Jagdverhalten bestätigt werden. Bei Säugern wird Jagdverhalten also offenbar durch ein Zusammenspiel von Großhirn, Mittelhirn und subkortikalen Strukturen (Regionen unterhalb der Großhirnrinde, beispielsweise die Amygdala) verarbeitet (Procacci & Hoy, 2019).
Jagdverhalten vermittelt durch Neurotransmitter
Neurotransmitter sind Botenstoffe, mit denen Nervenzellen mit anderen Zellen kommunizieren. Abhängig von der Art des Neurotransmitters können sie die Nervenzelle, an der sie andocken, entweder aktivieren oder hemmen. Neurotransmitter betreiben Multi-Tasking: jeder Neurotransmitter kann zahlreiche verschiedene Rollen im zentralen Nervensystem haben, wobei deren Funktion von der Gehirnregion und den vorhandenen Rezeptoren abhängt.
Folgende Neurotransmitter spielen (auch) bei Jagdverhalten eine Rolle: Dopamin ist allgemein für motiviertes Verhalten, und damit auch für Jagdverhalten, zuständig und sorgt für Vorfreude, Erkundungsverhalten und Begeisterung.
Hohe Spiegel von Serotonin scheinen Jagdverhalten zu hemmen, wie in etlichen Studien an Füchsen, Nerzen und Ratten gezeigt wurde (Nikulina & Popova, 1988; Popova & Nikulina, 1983). Dies gilt vor allem, wenn Serotonin-Ausschüttung NICHT mit der Ausschüttung von Dopamin kombiniert ist. Hier gibt es eine komplexe Interaktion zwischen den Neurotransmittern: Serotonin alleine hat eine hemmende Wirkung auf Jagdverhalten (Nikulina & Popova, 1988; Popova & Nikulina, 1983) und anderes motiviertes Verhalten; in Kombination mit Dopamin führt es aber zu positiven Gefühlen bis hin zur Euphorie und kann damit dazu beitragen, dass ein (selbst-)belohnendes Verhalten ausgeführt wird (vgl. Fischer & Ullsperger, 2017).
Eine spezifische Rolle beim Töten der Beute kommt dem Neurotransmitter Acetylcholin zu. Die Neuronen, welche Acetylcholin produzieren, spielen diverse Rollen im Gehirn: sie steuern die Aufmerksamkeit, das Erregungsniveau, den Schlaf-Wach-Rhythmus und tragen zur Steuerung von Antrieb bei (Böhm, 2016). Im lateralen Hypothalamus ist Acetylcholin für Tötungsverhalten notwendig – wird dieser Neurotransmitter gehemmt, zeigen Tiere, die sonst Beute töten, keine Tötungsabsichten mehr (Review in O’Boyle, 1974).
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Jagdverhalten ist bei Hunden – nicht nur bei Jagdhunden – mit starken Emotionen und positiver Erregung verbunden. Es beinhaltet viele instinktive Komponenten, deren Ausprägung jedoch auch durch Lernerfahrungen geformt wird. Welche Sequenzen sich für den Hund besonders gut anfühlen, ist zum Teil genetisch bedingt, doch durch geschicktes Training lassen sich „erwünschte“ Sequenzen aufwerten. Damit unsere Signale überhaupt noch ins Gehirn des auf die Jagd fokussierten Hundes aufgenommen werden können, ist es unabdingbar, dass diese ebenfalls sehr stark mit (positiven) Emotionen verknüpft sind, im Idealfall sogar aus dem jagdlichen oder jagdähnlichen Kontext (z.B. Spuren lesen; Hetzen und Packen von Spielzeug etc.), so dass der Hund seine Passion in einem ungefährlichen Rahmen ausleben darf. Dadurch lässt sich Jagdverhalten kanalisieren und kontrollieren.
Dr. Stefanie Riemer
PD Dr. Stefanie Riemer von «HundeUni – Wissenschaft trifft Praxis» ist Verhaltensbiologin und Privatdozentin im Fachbereich Ethologie und Tierschutz. Sie hat sich seit 2010 auf Hundeverhalten spezialisiert und leitete nach Aufenthalten in Wien und Lincoln (UK) sechs Jahre lang die HundeUni Bern an der Vetsuisse Fakultät, Universität Bern. Wissenschaft und Praxis miteinander zu verbinden ist ihr ein großes Anliegen. Sie bietet Verhaltensberatung an (Wien-Umgebung oder online), ist international als Seminarreferentin tätig und liefert über ihre Facebook-Seite wissenschaftliche Updates für Hundeinteressierte. Ein eigenes Fortbildungsangebot ist im Aufbau. Ihre Schwerpunkte liegen auf Persönlichkeit bei Hunden, Emotionen bei Hunden, Geräuschangst, Tierarztangst, sogenannten «Balljunkies» und Welpenförderung vom Züchter bis zur neuen Familie.
Quellenauswahl (für das Gesamtverzeichnis bitte „Quellen“ anklicken)
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