ATN-Seminare: Trainingsprinzipien gelten artübergreifend ©Patricia Lösche
Wer ein ATN-Praxis-Seminar bei Dr. Sven Wieskotten im Marine Science Center bucht, lernt mit Seehunden eine Spezies kennen, die ansonsten nicht bei der ATN auf der Agenda steht. Was also hat der Hund aus dem Wasser, der keiner ist, mit dem Hund auf dem Land, der einer ist, zu tun? Die Frage ist berechtigt. Oder auch nicht, denn Tiertraining folgt im Grundsatz überall den gleichen Richtlinien. Es bedeutet kreativ sein, sich am Individuum orientieren, respektvoll und lösungsorientiert arbeiten. Davon profitieren angehende Hundetrainer, Assistenzhundetrainer oder Tierverhaltensberater, die bei der ATN ihre Ausbildung machen.
Praxisseminar der ATN mit ganz besonderen Sparringspartnern
Was wäre besser dazu geeignet, gelernte Trainingsbasics praktisch zu üben, als eine Spezies, die freundlich und kooperativ ist, aber mit der die meisten Menschen keinerlei Vorerfahrungen haben. Hier kann niemand auf Trainingsschablonen zurückzugreifen. Stattdessen heißt es: Sich ins Gedächtnis rufen, was Kognition bedeutet, arttypisches Verhalten einbinden in die Ausarbeitung der Aufgabenstellung, und umsetzen, was man über Lernverhalten, über Trainingsmethodik und Kreativität im Training gelernt hat.
Ein ATN-Seminar der ganz anderen Art unter der Aufsicht eines besonderen Trainers. Dr. Sven Wieskotten ist Biologe und Hundetrainer, beliebter Tutor, Autor und Dozent an der ATN. Im Dienst der Wissenschaft hat er jahrelang die Robben und Seelöwen des Marine Science Centers in Rostock trainiert, mit denen ATN-Studenten jetzt praktische Erfahrungen sammeln dürfen.
ATN-Seminare: Berührungen stressfrei zu dulden gehört zum Medical Training ©Patricia Lösche
Immer wieder bietet die ATN ihren Schülern die Möglichkeit, unter der Supervision von Sven Wieskotten Körpersprache und Signalgenauigkeit an den Meeressäugern mit dem Babyface zu üben. Als Sparringspartner stellen sich begeistert zur Verfügung: Nick, der Ungeduldige; Filou, der Feinfühlige; Sam, das Arbeitstier; Henry, der Sensible; Paco, der Ruhige. Seit 2011 kennt und trainiert der promovierte Verhaltensbiologe die neun Seehunde, zwei Seelöwen und einen Seebären der Forschungsstation und weiß um die individuellen Charaktereigenschaften jedes einzelnen. Hier, in der Außenstelle der Universität Rostock, wo die Orientierungsleistung der Meeressäuger untersucht wird, sorgt operante Konditionierung dafür, dass die Tiere im Rahmen der Forschung keinem Stress ausgesetzt sind. Im Gegenteil. Winkt Arbeit, drängeln sie sich am Beckenrand in der Hoffnung, der Nächste zu sein.
ATN-Lehrstoff umgesetzt: Lernen durch positive Verstärkung
Einziger Lernmotivator: Positive Verstärkung, wie sie auch die ATN im Rahmen der angebotenen Ausbildungen lehrt. Gearbeitet wird unter anderem mit dem Prinzip des Clicker-Trainings, wobei der Clicker durch eine akustisch besser wahrnehmbare Pfeife ersetzt wird. „Bei Tieren, die dem Menschen näherstehen, haben wir natürlich eine wesentlich größere Bandbreite an Möglichkeiten zur positiven Verstärkung, auf die wir bei den Robben und Seehunden nicht zurückgreifen können“, erläutert Wieskotten die Clicker-betonte Ausbildungsmethodik bei den Tieren.
ATN-Seminare: Mit dem Berühren der Hand beginnt das Training ©Patricia Lösche
Im Wasser „stehen“ die Meeressäuger mit dem ausgeprägten Kindchenschema ungeduldig Schlange. Training ist für sie gleichbedeutend mit der Aussicht auf leckeren Hering. Doch so groß die Erwartungsspannung auch ist, aus dem Wasser springt nur, wer mit Namen gerufen wird, Rufgehorsam und Disziplin werden in der Forschungsarbeit großgeschrieben. Wer seinen Namen hört, macht eine Rolle rückwärts, dann nimmt der elegante, glatte Körper rasant Kurs auf die Plattform, katapultiert sich aus dem Wasser und landet punktgenau auf der hölzernen Fläche, wo er von „seiner“ ATN-Trainerin in Empfang genommen wird. Nach dem immer gleichen Ritual: Schnauze in die Hand legen signalisiert den Arbeitsbeginn.
Der Weg zum Ziel führt bei Seehunden über den Hering
„Wir haben hier das Glück, dass die Tiere die Arbeit mit Menschen gewohnt und super trainiert sind. Wir müssen erstmal lernen, wie man die Arbeit logisch aufbaut und und auf ein Ziel hin arbeitet“, formulierte es ATN-Schülerin Leonie Höhne auf einem der Seminare. Nach der Wiederholung der in der Ausbildung gelernten Theorie, einer Übung an Fischen, deren kognitive Fähigkeiten in der Forschungsstation ebenfalls untersucht werden, und der Zuteilung des jeweiligen Seehundes geht es am zweiten Seminartag an die praktische Arbeit.
ATN-Seminare: Heringshappen für den Lernerfolg ©Patricia Lösche
Die Seehunde sollen zwischen grüner Schildkröte oder gelbem Quietscheentchen unterscheiden und lernen, welches der gezeigten Objekte dasjenige ist, was sie berühren sollen. Für „richtig“ gibt es einen Clicker-Pfiff und nach dem Griff in den Eimer das ersehnte Stück Hering als Belohnung. „Wahnsinn, wie man durch seine Körpersprache oder eine nicht ganz korrekte Versuchsanordnung das Ergebnis beeinflusst.“  Judith Fekete, Studentin der Tiergestützten Arbeit, war ganz aus Wien nach Rostock zu einem der Seminare gekommen.
ATN-Seminar: Objekterkennung lehren ©Patricia Lösche
Hundetrainer-Ausbildung, Tiergestützte Arbeit, Ausbildung zum Katzenverhaltensberater, Medical Training: Ganz unterschiedliche Motive und ATN-Ausbildungen haben die Teilnehmer nach Rostock geführt, ganz unterschiedliche Notwendigkeiten bestimmen das Training von Tieren. Aber das Prinzip des kreativen und am Tier orientierten Trainingsaufbaus, die Wirkung der positiven Verstärkung ist auf fast alle Spezies übertragbar, gibt Sven Wieskotten den Teilnehmerinnen mit auf den Weg. Der Trainer weiß, wovon er spricht. Er trainiert die unterschiedlichsten Zootiere und ihre Pfleger für einen stressfreieren Umgang miteinander und zeigt Tierärzten Wege aus der Konfrontation, hin zur Kooperation selbst mit schwierigen Patienten.
Zum Abschluss wird geküsst. Natürlich nur wer will. So ein sabschig-fischiger Seehundkuss einschließlich der dazugehörigen Geruchskulisse aus dem Raubtiermaul ist nicht jederfraus Sache. Was einige aber nicht davon abhält, diese Erfahrung zu machen.
ATN-Seminare: Abschiedskuss mit Heringsparfüm ©Patricia Lösche
Patricia Lösche
Patricia Lösche ist freie Autorin, Text- und Bild-Journalistin. Der Dolmetscher-Ausbildung folgten Biologie- und Journalistik-Studium, freier und redaktioneller Journalismus für verschiedene große Verlage. Später dann die Ausbildung zur Tierheilpraktikerin an der ATM und die Tierpsychologie-Ausbildung an der ATN. Empathie, Achtung und Verständnis auf Augenhöhe im Umgang mit Tieren sind Patricia Lösche ein besonderes Anliegen. Seit 2014 schreibt sie für ATM und ATN Blogbeiträge, ist Autorin von Skripten und betreut als Tutorin die Studierende unterschiedlicher Fachbereiche. In die Wissensvermittlung fließen mehrjährige Praxis-Erfahrungen aus der naturheilkundlichen Behandlung von Pferden, Hunden und Katzen ebenso ein, wie die jahrzehntelange Erfahrung eigener Tierhaltung. Sie ist Mitglied im Fachverband niedergelassener Tierheilpraktiker (FNT) und 1.Vorsitzende im Berufsverband der Tierverhaltensberater und –trainer (VdTT).