Vom Assistenzhund zur Diabetikerwarnratte – ein Forschungsprojekt einer Schülerin der ATN

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Vom Assistenzhund zur Diabetikerwarnratte – ein Forschungsprojekt einer Schülerin der ATNFotoskat – stock.adobe.com

Vielfach gilt die Ausbildung zum Assistenzhundetrainer als Königsdisziplin; und gerade das Training des „Diabetikerwarn- und -anzeigehundes“ stellt sich dabei als überaus komplex dar. Denn trotz aller technischen Fortschritte und Verbesserungen, die zugegebenermaßen im Umfeld der Blutzuckermessungen in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten erreicht wurden, ist die Nase des Diabetikerwarnhundes nach wie vor unerreicht. Dies beweist einmal mehr, dass der Hund mit seinen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten im Vordergrund der Ausbildung steht.

Dennoch erscheint die Frage legitim, ob der „treueste Gefährte des Menschen“ die einzige Spezies mit diesen Befähigungen ist. Dieser Themenkomplex wird in den Praxisseminaren der Assistenzhundetrainer-Ausbildung der ATN immer wieder diskutiert: Gibt es andere Tiere außer dem Hund, die als Diabetikerwarn- bzw. -anzeigetiere ausgebildet und später im Alltag eingesetzt werden können? Interessanterweise wurde dabei die Ratte ins Spiel gebracht – und dies kommt nicht von ungefähr!

Die Ratte als Lebensretter

Man fragt sich sicher zu Recht, ob ein Tier, das bislang immer mit Unsauberkeit und Krankheitsübertragung in Verbindung gebracht wurde (hier sei nur an die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pestzüge erinnert!) und nach wie vor als Schädling gilt, in diesem diffizilen Umfeld eingesetzt werden kann und sollte. Man sollte jedoch nicht vorschnell urteilen. Neben den negativen Attributen stehen die positiven Eigenschaften dieser Spezies. Die Ratte gilt als intelligent und steht für Ehrlichkeit und Kreativität (im chinesischen Tierkreis etwa nimmt die Ratte die erste Position ein). Des Weiteren hat sie einen ausgezeichneten Geruchssinn. Hinzu kommt, dass Ratten kostengünstig sind, sich eng an den Menschen anschließen und sich gut transportieren lassen.

Damit sind wir auch schon beim Thema. Also – Hunde aufgepasst! Hier droht Konkurrenz! Denn bestimmte Rattenarten sind mindestens genauso gute Schnüffler wie „Schäferhund und Co“: nämlich die afrikanische Riesenhamsterratte, die im Kampfmittelräumdienst und bei der Tuberkulose-Kontrolldiagnose erfolgreich eingesetzt werden.

Landminenräumung mit Ratten

Die afrikanische Riesenhamsterratte (Cricetomys ansorgei) wird speziell geschult und trainiert, um Sprengstoff zu finden. Die etwa 40 bis 50 Zentimeter großen Ratten werden durch die belgische APOPO, die Antipersoonsmijnen Ontmijnende Productontwikkeling, zu Spürratten (sogenannte ‚HeroRATS‘) für die Suche nach Landminen (in Thailand, Angola, Kambodscha und Mosambik) ausgebildet. Die gemeinnützige Non-Profit-Organisation forscht in dieser Sache bereits seit 1997. Was die Minensuche angeht, weist die Riesenhamsterratte gegenüber Metalldetektoren bereits nach einem dreimonatigen Training eine 50-mal höhere Treffsicherheit auf. Gegenüber den Spürhunden hat sie dabei auch ganz praktische Vorteile: Sie lernt schneller, beansprucht weniger Futter, und größere Mengen Tiere sind mit weit weniger Aufwand in die abzusuchenden Gebiete zu verbringen. Auch lösen die Hamsterratten durch ihr geringes Körpergewicht kaum Minen aus.

Seit 2007 werden diese Ratten neben Sprengstoff auch auf den Geruch von Tuberkulose (TBC) trainiert und seit Mitte 2008 zur Kontrolldiagnose in TBC-Programmen eingesetzt. Hier sind die Tiere zwar nicht ganz so perfekt wie etwa ein Pathologe mit einem modernen Mikroskop. Dennoch erzielen sie weitaus bessere Ergebnisse, als viele Kliniken im ländlichen Afrika erreichen. Ein weiterer Pluspunkt ist hier die Geschwindigkeit der TBC-Spürratte. Sie kann 40 Proben in nur 7 Minuten überprüfen (eine Arbeit, für die ein ausgebildeter Labortechniker einen ganzen Tag benötigen würde)!

Wissenschaftliche Arbeit zur Diabetikerwarnratte bei der ATN

Eine der Schülerinnen der ATN, selbst Diabetikerin, ließ diese Idee nicht mehr los. Sie war fest entschlossen, einen Eigenversuch in Sachen Diabetes-Warn-Ratte durchzuführen. Im Austausch mit unserem Dozententeam wurde die Idee für dieses Projekt immer konkreter und sollte tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Hier konnte das neue ATN-Ausbildungsmodul „Wissenschaftliches Arbeiten“, das unsere Schüler dabei unterstützt, selbständige Forschungen durchzuführen, gleich erfolgreich in der Praxis angewendet werden. Aber da die Götter bekanntlich den Schweiß vor den Erfolg gesetzt haben, waren zunächst einige Recherche- und Vorarbeiten nötig, vor allem, da es für diese Fragestellung bislang noch keinerlei valide Untersuchungen gibt.

Die Vorteile, die Riesenhamsterratten neben ihren bisherigen Verwendungen auch als Diabetikerwarn- und -anzeigetier einzusetzen, liegen offen auf der Hand. Sie sind intelligent, haben einen ausgezeichneten Geruchssinn, lernen schnell, beanspruchen wenig Futter – scheinen also geradezu prädestiniert für die Aufgabe! Doch sorgte gerade diese Rattenart für ernste Probleme und den ersten Rückschlag bei der Umsetzung des Projekts: Riesenhamsterratten sind in Deutschland nicht ohne weiteres zu beschaffen und mit recht vielen einschränkenden Haltungsbedingungen belegt; auch der Platzbedarf ist nicht zu unterschätzen, sind die Tiere doch immerhin so groß wie ein kleiner Hund. Damit wird die Haltung dieser Tiere im Privaten sehr erschwert. Nicht zuletzt könnte der Auftritt mit einer Riesenratte in der Öffentlichkeit doch Ressentiments, aufrufen, da die Tiere einer gemeinen Wanderratte nicht unähnlich sehen…

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Die erste Hürde: Die passende Rattenart zu finden (© Rita Kochmarjova – stock.adobe.com)

Welche Rattenart eignet sich für das Projekt „Diabetiker-Warnratte“?

Ist damit jetzt das „Rattenprojekt“ gestorben? Mitnichten! Es ist dem weiteren, nicht abreißenden Engagement der ATN-Schülerin zu verdanken, dass dieses Projekt nicht ad acta gelegt wurde. Mit fortdauernder Unterstützung durch das ATN-Dozententeam auf Basis des bereits angesprochenen Moduls „Wissenschaftliches Arbeiten“ entwickelte sie ihre eigene Idee und verwirklichte diese erfolgreich: Wenn die Geruchsanzeige mit Riesenratten klappt, warum sollte es nicht genauso gut mit der „kleinen Schwester“, der aus der wilden Wanderratte herausgezüchteten Farbratte (Rattus norvegicus forma domestica) funktionieren?

Diese Rattenart wurde ab den 1980er Jahren oft von Punks als „Körperratte“ gehalten und ist mittlerweile als Heimtier fest etabliert und ist somit ein durchaus gewohnter Anblick. Diese Ratten sind bekannt für ihre Intelligenz, besitzen ein sehr gutes Riechvermögen, sind gut trainierbar und „vergleichsweise handlich“. Die Anschaffungskosten halten sich mit unter 20,00 Euro in Grenzen, und die Haltung ist hinsichtlich der laufenden Ausgaben recht übersichtlich.

Die Farbratte im Assistenztierwesen

Also gesagt, getan: Vier weibliche Tiere wurden angeschafft und entsprechend ausgebildet, sodass die Grundlagen dafür geschaffen waren, sowohl den Geruch von Unterzucker (Hypo) als auch Überzucker (Hyper) anzuzeigen. Da es allerdings zu dieser Spezies noch keinerlei Untersuchungen und Forschungen in dieser Sache gibt, war die Schülerin gezwungen, die Versuchsreihe, aber auch alles technische Equipment (wie die zum Training unerlässliche Testbox) selbst zu entwickeln bzw. zu bauen.

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Farbratten sind intelligente und aktive Haustiere, die täglichen Freigang benötigen. (© Jimmy – stock.adobe.com)

Nach umfangreichen und differenzierten Versuchsreihen, die nach einem 8-monatigen Training durchgeführt wurden, manifestierten sich folgende Ergebnisse: Die Ratten sind durchaus in der Lage, recht zuverlässig Überzucker anzuzeigen; sie schnüffeln dann länger als gewöhnlich an den Proben und können bei entsprechendem Training zur aktiven Anzeige eine Klingel betätigen. Dabei scheint der Überzucker mit einem Blutzuckerwert > 170 mg/dl für die Tiere kein Problem darzustellen (beim gesunden Menschen liegt der Blutzuckerwert zwischen 80 und 120 bzw. 140 mg/dl). Dagegen zeigt sich, dass bei Unterzucker (unter 60 mg/dl) die Ergebnisse weniger deutlich ausfallen: Von den vier Ratten zeigte nur eine bei 10 Proben 7-mal an, zwei dagegen nur 5-mal; und eine zeigte nur den Überzucker an. In diesem Fall scheint der ausgebildete Diabetikerwarnhund allerdings der bessere „Anzeiger“ zu sein. Denn der Hund der Schülerin zeigte zuverlässig bei jeweils 10 Proben, die zum Teil sehr dicht am Zielbereich von 90-140 mg/dl lagen, 9-mal Unterzucker und 9-mal Überzucker an. Gerade für das viel wichtigere Anzeigen von Unterzucker eine recht bedeutende Erkenntnis!

Ein weiteres gravierendes Problem kommt allerdings bei den Ratten noch hinzu: So lange der Geruch einer Über- oder Unterzuckerung im Raum lag, zeigten die Ratten permanent an! Es war in diesen ersten Versuchs- und Trainingsreihen bislang nicht möglich, ein „Pause“-Signal zu etablieren. Erst wenn der Geruch verschwunden war, hörten die Ratten mit ihrer Anzeige auf. Hier stellt sich die Frage, wie dies in der Praxis zu händeln ist. Möglicherweise könnten hier eine zeitweise Trennung vom Patienten und eine Einzelhaltung der Ratte erfolgversprechend sein.

Kann die Farbratte mit dem Assistenzhund konkurrieren?

Will man gewisse generalisierende Ergebnisse bereits zu diesem Zeitpunkt festhalten, so zeichnet sich ab, dass auch (weibliche) Ratten theoretisch im Prinzip in der Lage sind, als Diabetikerwarn- bzw. -anzeigetiere zu arbeiten. Wie auch bei den Hunden muss allerdings die individuelle Eignung und Befähigung berücksichtigt werden. Nach den bisherigen Versuchsreihen werden jedoch auch Handicaps deutlich: Zum einen zeigen Farbratten offenbar nicht so fein an (vergleichbar den Riesenhamsterratten bei der TBC-Anzeige) und zum anderen haben sie größere Probleme damit, den wichtigen Unterzucker zu erkennen und anzuzeigen. Das größte Manko ist freilich die „Daueranzeige“, die es zu verhindern gilt. Hier muss in weiteren Versuchs- und Trainingsreihen, die auf den bisherigen Ergebnissen aufbauen, nach Lösungen gesucht werden.

An dieser Stelle stellt sich auch die Frage nach der Befähigung der männlichen Ratte zur Diabetikeranzeige. Denn zur Ausbildung kamen nur weibliche Tiere. Es ist daher durchaus legitim zu fragen, ob hier das Geschlecht des Tieres einen Unterschied macht/machen würde.

Fazit

Einen Punkt, der letztlich nicht übersehen werden sollte, stellt gegenüber den Diabetikerwarnhunden die recht geringe Lebenserwartung der Farbratten dar, die zwischen 1 und 3 Jahre beträgt. Sieht man dies in Relation zur Ausbildungsdauer, die in unserem Fall acht Monate betragen hatte, so erscheint die Frage nach der möglichen verbleibenden „Arbeitsleistung“ der Ratte und dem möglichen Nutzen für den Diabetiker durchaus berechtigt.

Die ATN als Unterstützer für schülereigene Forschungsprojekte

Was jedoch darüber hinaus aus diesem Experiment deutlich wurde: Die ATN ist nicht nur eine „Ausbildungsstätte“, die Sie befähigt, die von Ihnen gewählte Ausbildung erfolgreich zu absolvieren und damit in ihrem späteren Beruf erfolgreich zu performen. Es ist ihr darüber hinaus eine Herzensangelegenheit, dass Sie den wissenschaftlichen Fortschritt durch eigene Arbeiten voranbringen! Frei nach dem Motto: Weg von den „trotten paths“ hin zu innovativen Ansätzen! Dazu wurde in die Ausbildung eigens das Modul „Wissenschaftliches Arbeiten“ aufgenommen, das Sie im Zusammenspiel mit den Dozenten zum eigenständigen Forschen anleitet und Ihnen bei der Verwirklichung Ihrer eigenen Ideen Hilfestellung bietet.

1 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Lena Fiebig/Miriam Schneider, Tiere als Lebensretter: Die afrikanische Riesenhamsterratte in humanitärer Mission, in: Deutsches Tierärzteblatt 2020 (Heft 5), S. 616-622. (Link: https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/dtbl/archiv/artikel/5/2020/tiere-als-lebensretter)

autorin svea erdenbrink

Svea Erdenbrink

Die geborene Aalerin Svea Erdenbrink lebte bis zu ihrem achten Lebensjahr in Kanada. Zurück in Deutschland absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Industriekauffrau und studierte nebenher Psychologie. Erst einige Jahre später zog ihr erster Hund, eine Deutsche Dogge namens „Gini“ in die Familie ein.

„Gini“ zeigte immer mal wieder ein für alle unerklärliches Verhalten, bis jemand auf die Idee kam, während dieses Verhaltens einmal den Blutzucker der Diabetikerin Erdenbrink zu messen. Und tatsächlich: Gini zeigte tiefe Blutzuckerwerte an.

So entschloss Svea Erdenbrink sich, ihren ersten Diabetikerwarnhund auszubilden. In 2016 belegte sie bei der ATN die Kurse „Hundetrainer“ und „Assistenzhundetrainer“. Seither arbeitet sie als Assistenzhundetrainerin mit Spezialgebiet Diabetes, als Tagesmutter für Kinder mit Autismus und Behinderungen verschiedenster Art sowie als psychologische Beraterin. In jedem dieser Bereiche setzt sie auch die tiergestützte Arbeit mit Hund ein und bildet Schul- und Therapiebegleithunde aus.

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