Pferdeverhaltensberater Tierberuf
Sie sind die Analysten und ein bisschen auch die Pädagogen unter den Tierberuflern: Verhaltensberater fokussieren in ihrer Arbeit auf das gesamte Lebensumfeld eines Tieres. Das setzt nicht nur ausgeprägte Beobachtungsgabe und Wissen über das jeweilige Individuum voraus. Es erfordert zugleich ein tiefgründiges Verstehen des Tieres an sich, der Systematik der jeweiligen Tierart und der jeweiligen Beziehung des Halters zum Tier.
Der Name erinnert ein bisschen an eine Märchengestalt, und doch steht „HooPaFee“ für nichts anderes als „Hooves, Paws, Feet“ – Hufe, Pfoten, Füße – Annabelle Steigers Zentrum für Verhaltensberatung, Training und Therapie von Hunden und Pferden in Otterstadt bei Speyer. Die studierte Archäologin hat sich ganz auf die Arbeit mit den Vierbeinern konzentriert und deckt hier so ziemlich alle Themen ab, in denen Hunde- und Pferdehalter Rat suchen – von den ganz normalen „Alltagsetiketten“ bis hin zu Naturheilkunde und Verhaltenstherapie.
„Für die Arbeit, die wir hier machen, ist ein sehr weit gefächertes Wissen notwendig. Bei jedem neuen Mensch-Tier-Team wird man vor neue Herausforderungen gestellt. Mein Ziel ist es, so fundiert und umfassend wie möglich zu helfen. Dafür habe ich zugegebenermaßen nicht nur eine Ausbildung absolviert“, erzählt sie, als sie an diesem sonnigen Tag im April auf zwei Kundinnen wartet, die sie in Sachen Pferd betreut. „Im Laufe der Jahre habe ich mich kontinuierlich weitergebildet und mehrere Ausbildungen bei der ATN absolviert, da ich einfach von der fachlichen und thematischen Tiefe dieser Ausbildungen überzeugt bin.“ Da ist im Laufe der Zeit einiges zusammengekommen: der Tierpsychologe für Hund und Pferd, der Verhaltensberater, der Assistenzhundetrainer und die Hundeverhaltenstherapie, daneben auch gleich die Tiergestützte Arbeit und die Tierheilpraktiker-Ausbildung der ATN-Partnerschule ATM. Derzeit steht für Annabelle Steiger eine Promotion in Verhaltensbiologie auf der Todo-Liste.
Bezüglich der praktischen Arbeit mit den Pferden hat sie sich ähnlich breit aufgestellt. Hier liegt der Schwerpunkt auf der akademischen Reitkunst ebenso wie auf der Freiarbeit und Zirzensik. „Ich empfinde ständige Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich als absolute Pflicht, um jedes Pferd-Mensch-Team dort abholen zu können, wo es steht.“ Kern der Arbeit sind das Markertraining sowie die positive Verstärkung. „Ein Ausbildungsweg, egal welcher, darf die individuellen Möglichkeiten eines Pferdes nie überschreiten, es muss Freude an der Zusammenarbeit mit dem Menschen haben! Ich bin ein riesen Fan von Präzision und Perfektion, aber Gewalt ist nie die Antwort und ganz sicher nie die Lösung. Das ist immer noch ein großes Missverständnis in der Pferdewelt.“ HooPaFee ist für Annabelle Steiger Beruf und Berufung zugleich, der Terminkalender ihrer stationären und mobilen Praxis ist voll.
Pünktlich fahren Sandra und Heike auf dem Parkplatz vor dem Eingangstor vor. Gut zwei Jahre ist es her, dass Annabelle Steiger das Objekt im Zuge einer Zwangsversteigerung erworben hat hat – Wohnhaus mit Seminarräumen und Reithalle, Auslauf und Stallungen. Zehn eigene Pferde beherbergt sie hier, dazu sechs Hunde und im Wintergarten einen kleinen Schwarm Ziervögel, das Hobby ihres Mannes.
Sandra und Heike freuen sich auf ihren Termin. Bei Sandra steht in naher Zukunft die Anschaffung eines eigenen Pferdes ins Haus. „In erster Linie wünscht sich meine Tochter ein eigenes Pferd“, sagt Sandra, „aber damit ist es im Prinzip ja genauso wie mit einem Hund – letztlich gehört er der ganzen Familie, wird ein Familienmitglied, und deshalb möchte ich mich mit dem Umgang und allem Drumherum entsprechend gut auskennen.“ Annabelle Steiger schätzt diese Einstellung, zumal die Tochter auch zu ihr zum Reitunterricht kommt. „Parallel nimmt sie Stunden in einer ‚herkömmlichen‘ Reitschule, möchte aber eben auch andere Reit- und Herangehensweisen ans Pferd kennenlernen“, sagt Annabelle Steiger. „Deshalb kommt sie her. Dass ihre Eltern das unterstützen, finde ich bemerkenswert.“
Reiten und Umgang mit dem Pferd geht bei Annabelle Steiger anders. „Ich will das Pferd als Sozialpartner verstanden wissen, nicht als Sportgerät oder Freizeitvergnügen“, sagt sie. „Pferd und Reiter müssen eine gemeinsame Basis finden, auf der sie kommunizieren und eine harmonische Zusammenarbeit entwickeln können.“ Diese dürfe nicht zulasten des Pferdes gehen, weshalb oberstes Ziel sei, das Pferd auf der Grundlage von Biomechanik, Interieur und Exterieur sowie den Fähigkeiten des Reiters so zu gymnastizieren, dass es seinen Reiter wirklich ohne Probleme tragen kann. Und es so zu halten und zu versorgen, dass es Pferd – und glücklich sein kann.
Die drei Frauen machen sich auf den Weg, die Pferde zu holen, mit denen an diesem Tag gearbeitet werden soll. Sandra bekommt das Curly Lanzelot, Heike den Norweger Urmel. Zunächst geht es ans Putzen; dann darf Lanzelot in einem kleinen grünen Wiesenauslauf warten, während Urmel in die Reithalle geführt wird. Auf dem Rücken trägt er ein Marik-Pad, ein Reitkissen, das in Handarbeit hergestellt und für jedes Pferd individuell angepasst wird. „Für mich ist das der beste Kompromiss für Pferd und Reiter: Es ermöglicht einen sehr aufrechten Sitz mit langem Bein, vergleichbar einem Sattel, blockiert aber den Rücken der Pferde und den Sitz des Reiters nicht. Gleichzeitig sind Wirbelsäule und Widerrist des Pferdes frei, sodass der Rücken weit weniger belastet wird als bei anderen Reitkissen. Das wichtigste, um sicher und so wenig belastend wie möglich für das Pferd reiten zu können, ist ein ausbalancierter Sitz. Dafür ist es ein immenser Vorteil, wenn man die Bewegungen des Pferdes spürt und diesen folgen kann bzw. sogar muss.“
„Seit ich bei Annabelle Reitunterricht nehme, weiß ich erst, wie wichtig es ist, nicht einfach nur draufzusitzen auf einem Pferd, sondern es so zu trainieren, dass es die fürs Reiten erforderliche Muskulatur aufbauen kann“, sagt Heike. Erst mit 40 hat sie ihre Leidenschaft für Pferde entdeckt, heute ist sie 49. Sie habe eine Menge Trainer und Reitlehrer kennengelernt, „aber erst, seit ich bei Annabelle bin, verstehe ich wirklich und fühle mich in die Lage versetzt, meinem Pferd wirklich zu begegnen und umzusetzen, was Annabelle mir rät“. Wie lenkt man ein Pferd ohne Zügel? Wie verändern sich Gangbild und Körpergefühl, wenn man selbst eine andere Haltung einnimmt? Wie sitzt man korrekt? Und wie bringt man ein Pferd zum Stehen, wenn man nirgends „ziehen“ kann? Reiten auf dem Pferd war gestern – auf das Reiten mit dem Pferd kommt es an.
Für Sandra ist Reiten noch Zukunftsmusik, auch wenn die Tochter schon ein kleines Ass ist. „Ich brauche Vertrauen zum Pferd, möchte wissen, wie es ‚tickt‘, wie ich es in vielleicht schwierigen Situationen unterstützen kann und wie ich ihm auch ganz einfach alles mögliche beibringe“, sagt die 46-Jährige. Curly Lanzelot ist genau der richtige Partner dafür – er ist ein junges Pferd, das im nächsten Jahr angeritten werden soll. Krankheitsbedingt musste er in der Ausbildung eine längere Pause einlegen und beginnt nun wieder mit dem Training. Er ist ein freundliches und umgängliches Pferd, dem aber die Herausforderungen des Straßenverkehrs noch ein wenig zu schaffen machen. Mit Lanzelots Hilfe weiht Annabelle Steiger Sandra in die Kunst des Markertrainings ein. „Ich benutze dazu allerdings keinen Klicker, weil ich bei der Arbeit mit Pferden gern beide Hände frei habe“, verrät die Trainerin und schnalzt einen Doppelton mit der Zunge. „Klingt immer gleich und ist immer einsatzbereit.“
Als Einstiegsübung wird ein Bodentarget ausgelegt. Lanzelot kennt das schon, auch mit dem Markern ist er bereits vertraut. Es klappt gut, nur das Scharren mit dem Vorderhuf beunruhigt Sandra ein bisschen. „Pferde erkunden und untersuchen so den Untergrund“, erläutert Annabelle Steiger, „viele Hengste ausgeprägter als Stuten. Bei ihnen muss man auch mehr aufpassen, dass man nicht versehentlich einen Tritt abbekommt. Auch wenn es sich hier um ein ‚Normalverhalten‘ handelt, kann daraus schnell eine sogenannte Unart entstehen. Hier gilt wie sooft: Wehret den Anfängen …“ Sie zeigt Sandra wie sie in einem ersten Trainingsschritt zum Still-Stehen das Pferd auf dem Target „festfüttern“ oder auch eine intermediäre Brücke als tertiären Verstärker etablieren kann. „Mit Targets zu arbeiten empfiehlt sich im Tiertraining generell“, verrät die Trainerin weiter. „Besonders beim Medical-Training, wenn man Tiere für tierärztliche Untersuchungen vorbereitet.“ Ein Thema, das Annabelle Steiger besonders am Herzen liegt. „Viele Tierärzte schicken mittlerweile ihre Patientenbesitzer zu theoretischen und praktischen Seminaren zu mir, weil sie sich nicht mehr beißen und treten lassen möchten.“ Sie lacht.
Nach der Einstiegsübung ist Lanzelot bereit für einen kleinen Ausflug. Weil er den allein nicht bewältigen könnte, holt Heike das Pony Loisel noch dazu. „Loisel ist mein kleiner Trickkönig, ist die Ruhe in Person und Lanzelots bester Kumpel“, sagt Annabelle Steiger. Gute Voraussetzungen, um die Konfrontation mit Alltäglichkeiten zu wagen. Spaziergänge wie dieser sollten für junge Pferde regelmäßig auf dem Programm stehen, ein wesensfester Begleiter wie Loisel macht es am Anfang leichter.
Sandra führt Lanzelot, Heike den Loisel. Es geht runter vom Hof und über den benachbarten Spielplatz, durch ein Wohngebiet und über eine Straße bis zu den Rhein-Auen und einer kleinen Bootsanlegestelle. Auf dem Weg begegnen ihnen Autos, Traktoren, Fahrräder. Vielmals stoppt Lanzelot auf dem Weg, braucht Zeit, um Dinge zu betrachten und zu beobachten. Ein paar Mal rät Annabelle Steiger, ihm über Annäherung und Rückzug die Begegnung mit potenziellen Angstauslösern zu erleichtern. Lanzelot und Sandra schlagen sich gut als Team. „Eine solche Einheit läuft perfekt, wenn alle Aufgaben für Mensch und Pferd gut zu bewältigen sind und ein Außenstehender nicht vermuten würde, dass hier an einem Problem gearbeitet wird. Das ist die große Kunst in der Verhaltensberatung. Sobald etwas spektakulär aussieht, laufen die Dinge grundverkehrt.“
ATN Akademie
ATN AG ist die im deutschsprachigen Raum führende Schule für Tierpsychologie, Verhaltenstherapie und Hundetraining. Sie ist die erste Schule, die reguläre Lehrgänge zu diesen Themen angeboten hat und ein anspruchsvolles Ausbildungskonzept besitzt.