Wissenschaftliche Studien an der ATN
Die "Bello Studie"
Bello allein zu HausÂ
Erste wissenschaftliche ATN Studie
Bello allein zu Haus – das war der Arbeitstitel für die erste große wissenschaftliche Studie der ATN. Die Kernfrage: Wie verhalten sich Hunde, wenn sie in ihrem gewohnten Umfeld alleinbleiben müssen.
Verhalten sich Rüden und Hündinnen gleich? Gibt es Unterschiede je nachdem, ob die Hunde kastriert sind oder nicht? Und vor allem: Welchen Einfluss haben Artgenossen in der Gruppenhaltung auf das Verhalten während der Trennung von den menschlichen Bezugspersonen? Â
Die meisten bisherigen Studien zu diesen Themen untersuchten Hunde, die bekanntermaßen Probleme mit dem Alleinsein hatten, während Hunde ohne diagnostizierte Trennungsprobleme so gut wie keinen Eingang in die unterschiedlichen Studienprojekte fanden.
Zu der Frage, ob die Anwesenheit von Artgenossen einen Einfluss auf das Verhalten in Trennungssituationen haben, ist noch weniger veröffentlicht. Ziel der Studie der ATN war es, umfangreiches videobasiertes Datenmaterial zu diesen sehr spannenden und für das Wohlbefinden der Hunde sehr wichtigen Themen zu sammeln und zu analysieren, um Verhaltensberatern und Hundetrainern ein besseres Verständnis für das Verhalten der Hunde in den Trennungssituationen des täglichen Lebens und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu vermitteln.
Von der Aufzeichnung zur Auswertung
Unermüdlicher Forschergeist an der ATN
Schüler der ATN und unserer Partnerakademie ATM dokumentierten per Videoüberwachung das Verhalten in 69 Haushalten mit 123 Hunden, für die das Alleinsein Teil ihrer alltäglichen Routine ist.
Manche Probanden mussten von der weiteren Auswertung ausgeschlossen werde, da die Bildqualität und gefilmte Sequenzen/Ausschnitte nicht dem zugrundegelegten Standard genügten.
Somit fanden am Ende 167 Aufzeichnungen von 54 Haushalten mit 77 Hunden Eingang in unsere Studie. Für diese 167 Aufzeichnungen betrug die durchschnittliche Beobachtungsrate 97,1% der Gesamtzeit des Alleinseins.
In die Auswertung flossen ein:
- 32 einzeln gehaltene Hunde und 45 Hunde aus Mehrhundehaltung
- 30 Rüden und 47 Hündinnen
- 47 kastrierte und 30 nicht kastrierte Hunde
Von der Aufzeichnung zur Auswertung
Datensammlung für die Bello-Studie
So haben wir die Daten erhoben:
- Teilnehmen konnten Hunde, die regelmäßig zuhause alleingelassen wurden
- Die teilnehmenden Hunde wurden unter Schülern der ATN und der Partnerschule ATM rekrutiert.
- Die häusliche Aufzeichnung erfolgte über drei Videokameras , um eine möglichst lückenlose Beobachtung unter Alltagsbedingungen zu ermöglichen.
- Über das Analyseprogramm „Solomon coder“ wurden Verhaltensmuster, Art und Ort des Verhaltens sowie Lautäußerungen für die Auswertung erfasst
- Anhand der erfassten Daten erfolgte die statistische Auswertung
- Die durchschnittliche Zeit der Trennung von der Bezugsperson betrug etwas mehr als 2,5 Stunden.
Auswertung & Statistik
Kodierung der Aufzeichnungen
Unter Leitung des Biologen Gerrit Stephan wertete ein Team aus ATN-Schülern die aufgezeichneten Videos mit Hilfe des Analyseprogramms „Solomon coder“ aus. In diesem „Kodierung“ genannten Arbeitsschritt wird das Verhalten nach einem vorgegebenen Schema in statistisch auszuwertendes Datenmaterial übersetzt.
So erhoben wir Daten zu Aktivitätsniveau, Liegepositionen, Aufenthaltsorten, Lautäußerungen und weiteren Verhaltensweisen. Zur Validierung der Daten ließen wir 26% der Videos von einer zweiten Person auswerten, um die „inter rater reliability“ zu prüfen.
Die so gewonnene Statistik ergab eine sehr hohe Übereinstimmung mit der Datenkodierung der ursprünglich auswertenden Personen.
Statistisch unter die Lupe genommen
Über den Vergleich der prozentualen Anteile in der Beobachtungszeit testeten wir den möglichen Einfluss von Artgenossen, Geschlecht und sexuellem Status auf das Verhalten.
Unser besonderer Dank gilt Dr. Kurt Hammerschmidt, einem der führenden Wissenschaftler in der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, der uns bei der Erstellung des Designs der Studie und der statistische Auswertung der Daten mit dem Erfahrungsschatz eines Wissenschaftlers mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich Forschung und Veröffentlichung unterstützte.
Ergebnisse der Studie
Im Allgemeinen zeigten die in der Studie untersuchten Hunde, unabhängig von der Zeit des Alleinseins ein geringes Aktivitätsniveau. In den Haushalten mit mehreren Hunden war insbesondere in der ersten Stunde des Alleinseins das Niveau der Aktivität höher als in der Einzelhaltung.
Überraschend war: Spiel, gegenseitige Körperpflege und das Austragen von Konflikten wurden nur selten und kurzzeitig beobachtet. Die beobachteten Unterschiede im Aktivitätsniveau in der Gruppenhaltung gingen also nicht oder kaum auf direkte Interaktionen zwischen den Hunden zurück.
Rüden in der Mehrhundehaltung bellten deutlich häufiger. Ein weiterer geschlechtsbezogener Unterschied war, dass Rüden dazu tendierten, sich mit zunehmender Dauer des Alleinbleibens vermehrt an der Wohnungstür aufzuhalten. Zum einen finden sich in der Literatur zahlreiche Hinweise, dass Rüden häufiger von Trennungsproblemen betroffen sein könnten als Hündinnen. Andererseits können hier auch andere geschlechtsspezifische Unterschiede eine Rolle spielen.
Wichtigste Ergebnisse im Ãœberblick
Die wichtigsten Ergebnisse haben wir Ihnen in wenigen Stichpunkten zusammengefasst:
- Unabhängig von der Dauer des Alleinseins zeigten die meisten Hunde selten Lautäußerungen und geringe physische Aktivität.
- Vor allem in der ersten Stunde des Alleinseins war das Aktivitätsniveau der Hunde in Mehrhundehaushalten höher.
- In Mehrhundehaushalten kam es vor allem bei Rüden zu häufigeren Lautäußerungen als in Einzelhaltungen,
- Rüden halten sich häufiger als Hündinnen im Bereich hinter der Haustür auf.
- Der sexuelle Status (kastriert/unkastriert) hatte keinen Einfluss auf das beobachtete Verhalten in der Trennungssituation.
- Unseren Ergebnissen zufolge scheint die Mehrhundehaltung kein Garant zu sein für eine bessere Toleranz des Alleinseins.
Was kann aus diesen Beobachtungen geschlossen werden?
Bellen
Vermehrtes Bellen und erhöhte Aktivität (gerade zu Beginn der Abwesenheit) gehören zu den typischen trennungsbedingten Verhaltensweisen, könnten aber auch durch andere Ursachen, z. B. als Folge von Stimmungsübertragung, entstehen.
Geschlechterspezifisches Verhalten
Insbesondere die Rüden zeigten vermehrt Bellverhalten und hielten sich häufiger in der Nähe der Haustür auf als Hündinnen. Dies kann auf generelle Geschlechtsunterschiede zurückzuführen sein, scheint sich aber mit der Dauer des Alleinseins zu verstärken.
Gruppenhaltung
Auch wenn wir über die emotionalen Hintergründe unserer Beobachtungen keine zuverlässigen Aussagen treffen können, haben wir zumindest keine Anzeichen dafür gefunden, dass Hunde in Gruppenhaltung besser mit Trennungen von den menschlichen Bindungspartnern zurechtkommen als Hunde in Einzelhaltung. Hunde in Gruppenhaltung beschäftigen sich nur wenig miteinander und bleiben überwiegend passiv. Sie brauchen länger, um zur Ruhe zu kommen und bellen zwischendurch deutlich mehr als Hunde in der Einzelhaltung.
Stimmungsübertragung und Wohlbefinden
Selbst wenn die Vielzahl der oben geschilderten Beobachtungen überwiegend auf Stimmungsübertragung zurückgehen, ist Bellen sicherlich kein Indiz für gesteigertes Wohlbefinden. Wie gut bzw. schlecht es einem Hund in dieser Situation geht, bleibt also auch in der Gruppenhaltung eine Frage der individuellen Beobachtung.
Fazit und Ausblick
Bedeutung der Bello-Studie für die Praxis
Empfehlung für Hundehalter
Wir empfehlen Hundehaltern, das Verhalten ihrer Hunde während der Trennungszeiten per Videotechnik aufzuzeichnen. Denn eine besonders interessante Erkenntnis der Studie war die hohe Variabilität des Verhaltens der unterschiedlichen Hunde während des Alleinseins. Auch in unserer Probandengruppe haben wir zum Teil Verhaltenssymptome von Trennungsstress gesehen. Die wichtigste Schlussfolgerung aus unseren Ergebnissen ist also: Es ist wichtig, sich das Verhalten der alleingelassenen Hunde im Einzelfall anzuschauen.
Gruppenhaltung
Dieser Rat schließt die Gruppenhaltung ganz ausdrücklich ein. Auch wenn ein vertrauter Artgenosse eine große Unterstützung in dieser Situation sein kann, gibt es dafür keine Garantie. Im Gegenteil: Unsere Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass die Hunde in der Gruppenhaltung länger brauchen, um zur Ruhe kommen. Vorerfahrung und Persönlichkeit, aber auch Vorkommnisse während der Abwesenheit, von denen Halter nichts ahnen, beeinflussen die Fähigkeit von Hunden, ein zeitlich begrenztes Alleinsein ohne Anzeichen von Stress zu tolerieren.
Ausblick und DanksagungÂ
Unter dem Strich werfen unsere Ergebnisse am Ende weitere Fragen auf, die es zu beantworten gilt. Hier zeigt sich, dass noch sehr viel zu tun ist in der Forschung an Familienhunden.
Wir freuen uns sehr, dass wir als private Bildungseinrichtung gemeinsam mit unseren Schülerinnen und Schülern einen Beitrag leisten konnten, und sind stolz darauf, dass wir sie in einem so renommierten Wissenschaftsmagazin veröffentlichen konnten.
Allen Mitwirkenden möchten wir an dieser Stelle ganz herzlich danken. Insbesondere unseren Probanden und den Mitgliedern des Kodierungsteams.
Die Originalstudie
Titel der Studie: „Pet dogs home alone – a videobased study“, Autoren: Gerrit Stephan, Joachim Leidhold, Dr. Kurt Hammerschmidt.