Enrichment für Katzen mit Regalen
Enrichment bedeutet „Lebensraum-Bereicherung“ und gewinnt in der Heimtierhaltung zunehmend an Bedeutung. Vor allem für Wohnungskatzen und im Mehrkatzen-Haushalt ist wichtig, ein Auge auf die Gestaltung eines katzengerechten Lebensraumes zu haben. Wer klug einrichtet, beugt automatisch vielen möglichen Verhaltensproblemen bei seinen Katzen vor und sorgt gleichzeitig dafür, dass sich die Stubentiger rundum wohlfühlen. Was dabei bereits mit einfachen Regalen erreicht werden kann, verrät der folgende Beitrag.
Enrichment für Katzen: Lebensqualität durch artgerechte Raumgestaltung
Viele Hauskatzen leben heute unter mehr oder weniger eingeschränkten Bedingungen. Besonders betroffen sind hier Katzen, die keinen Freigang erhalten können, mit anderen Katzen bzw. anderen Tieren in einem Haushalt zusammenleben oder sogar auf sehr begrenztem Raum zusammenleben müssen, weil sie vorübergehend im Tierheim oder einer Tierpension untergebracht sind oder sogar dauerhaft in einer Forschungseinrichtung leben. Die Wissenschaftlerin Emma Desforges und ihre Kollegen hatten deshalb untersucht, welche möglichst einfachen Strategien ein Environmental Enrichment zur Verbesserung des Wohlbefindens von „Laborkatzen“ beitragen kann. Die Studienergebnisse für Katzenverhaltensberater und Tierpsychologen sind sehr aufschlussreich, denn auch in Privathaushalten finden sich gelegentlich mehr Katzen (in reiner Wohnungshaltung) als den Tieren gut tut.
Artgerechte Lebensraumgestaltung für Katzen
Die allgemeine Empfehlung zur maximalen Gruppengröße in einem Mehrkatzenhaushalt lautet: eine Katze weniger als ihnen Räume zur Verfügung stehen. Dadurch können sich alle Individuen von ihren Artgenossen distanzieren, wenn ihnen danach ist. Davon profitieren auch die verträglichsten Stubentiger – zumindest gelegentlich. Die alleinige Nutzung eines Raumes dient der Katze dabei nicht nur zu Rückzug und Erholung nach einer Auseinandersetzung, sondern auch „nur“ zur Entspannung. Der Grund: sensible Katzengemüter können schon durch den Anblick von Bewegungen, etwa von spielenden oder sich putzenden Artgenossen sensitiviert werden und nur schwer zur Ruhe kommen.
Das Motto „mehr Räume als Katzen“ hat zudem den Vorteil, dass es das Erkundungsverhalten der Samtpfoten anstachelt: ein einzelner Raum ist überschaubar und reduziert das Bedürfnis nach einer näheren Inspektion im Hinblick auf Veränderungen. Unnötig zu sagen, dass solche Bedingungen weder von Tierschutzorganisationen noch von Forschungseinrichtungen geboten werden können. In Großbritannien, dem Lebensraum der Wissenschaftler rund um Desforges, fordern die Mindestvoraussetzungen zur Haltung von Katzen nicht mehr als 0,5 Quadratmetern pro Individuum mit mehr als 3 kg Körpergewicht! Das ist mehr als spärlich für Tiere, die im freien Leben Gebiete von bis zu 10 Quadratkilometern durchstreifen. Zugegeben, in vielen Großstädten leben Kolonien mit mehr als 100 Katzen auf engem Raum. Wird dem einzelnen Tier der Stress aber zu groß, hat es hier die Möglichkeit, abzuwandern. Stress tritt in Katzengruppen durchaus auf, wenn auch in unterschiedlich häufigem und starkem Ausmaß.
Mit Regalen katzenschöne Lebensräume gestalten: so geht‘s
In reiner Haus- bzw. Wohnungshaltung verhelfen alternativ zur definitiven Teilung von Räumen beispielsweise Trennwände und Paravents. Diese bieten Sichtschutz, regen zur Bewegung an und laden die Katzen ein, regelmäßig „verborgene Ecken“ zu kontrollieren. Auch Catwalks und Regalbretter zur Nutzung der 3. Dimension sind als Lebensraum-Bereicherung bekannt. Regalbretter sind üblicherweise an der Wand befestigt und dienen dem Besuch erhöhter Plätze. Sie werden wie „Regalstufen“ als Beobachtungs- und Liegeplätze genutzt und zur Abgrenzung von Artgenossen aufgesucht.
Solche Einrichtungen sind auch wegen der „unübersichtlichen“ Sozialsysteme von Hauskatzen sinnvoll, zumal Katzen von despoten- bis demokratie-ähnlichen Strukturen so ziemlich alles an „Gesellschaftsformen“ kennen, was es gibt – einschließlich zahlreicher Übergänge. Sozialsysteme bei Katzen kennen unterschiedlich stark ausgeprägte Freundschaften ebenso wie entsprechende Abneigungen. Auf engem Raum verursachen Letztere oft enormen Stress. Wird der Lebensraum klug strukturiert, kann dieser mindestens entschärft werden – nicht zuletzt sind Gruppenstrukturen dynamisch und können sich im Leben der Gruppenmitglieder deutlich verändern. Eine gute Einrichtung ist also auch prophylaktisch sinnvoll, wenn es noch gar nicht zu Spannungen gekommen ist.
Enrichment mit Regalen: Studiendesign
In der ihrer Studie konzentrierten sich die Wissenschaftler um Desforges auf Regalformationen für Laborkatzen, die sowohl den Lebensraum der Katzen unterteilen, als auch zusätzliche Aufenthaltsorte bieten konnten. Dadurch, dass die Regale den Katzen zugleich die Möglichkeit eröffneten, sich räumlich voneinander zu distanzieren, sollte auch das Aggressionspotenzial der samtpfötigen Bewohner gesenkt werden. Insgesamt bezogen die Forscher 29 kastrierte Kurzhaarkatzen in ihre Studie ein. Alle Katzen lebten bei einem namhaften Futtermittelhersteller in vier sozialen Gruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung von Katern und Kätzinnen: 1 x 8 (6 Kater, 2 Kätzinnen) und 3 x 7 Individuen (3 Kater, 4 Kätzinnen; 5 Kater, 2 Kätzinnen; 2 Kater, 5 Kätzinnen).
Die Raumgröße je Gruppe betrug etwa 3 x 13 Meter, mit gleicher Ausstattung in Bezug auf Wassernäpfe, Betten, Kratzpfosten, Leitern und Katzenklos. An den Wänden befanden sich in etwa 80 cm Höhe Regalbretter. Benachbarte Katzenräume waren durch große Fenster für die Katzen einsehbar. Die Betreuung erfolgte regelmäßig und beinhaltete eine zweimal tägliche Isolierung jeder Katze für 30–60 Minuten während ihrer Fütterung.
Zur Untersuchung der Raumnutzung zeichneten die Forscher auf dem Boden jedes Katzenzimmers Linien auf, die es in 8 Zonen von 0,75 x 1,5 Metern untergliederte. Sie hielten den Aufenthalt jeder Katze in diesen Zonen fest sowie ihr Verhalten, v.a. Interaktionen zwischen den Bewohnern. Eine zweitägige Untersuchung bildete die Datenbasis, gefolgt von Nutzung und Verhalten innerhalb von 4 Tagen nach Einbringen der Regal-Raumteiler. Diese bestanden aus vertikal aufgestellten Ikea-Regalen mit Rückwänden, die auf 4 Ebenen je 2 Fächer nebeneinander boten. Direkt daneben wurde ein zweites Regal gestellt, jedoch mit der Rückseite nach vorne, sodass eine beidseitige Nutzung möglich war, wenn die Regale in der Mitte des Raumes platziert wurden. Außer den 4 Ebenen in den „Fächern“ der Regale standen den Katzen natürlich auch die obere Abdeckung (eigentlich Seiten) der Regale zur Verfügung. Nach den 4 Testtagen wurden die Regale entfernt und das Verhalten der Katzen weitere 2 Tage lang aufgezeichnet.
Bild Regale
Enrichment mit Regalen: Studienergebnisse
Für Katzenverhaltensberater nicht überraschend war das Ergebnis, dass sich nach Einbringen der neuen Regale weniger Katzen auf dem Boden aufhielten. Die Tiere nutzten häufiger sowohl ihre Betten als auch die Regalfächer und deren obere Abdeckung, seltener hingegen die Bereiche vor den Türen und die Katzenklos. Diese hatten sie in den Zeiten ohne Regale im Raum oft besetzt.
Das Verhalten der Bewohner zeigte sich insgesamt – also mit und ohne Lebensraum-Bereicherung durch Regale – in erster Linie als tageszeitabhängig: vor den Fütterungen am Morgen traten weniger freundschaftliche und mehr aggressive Verhaltensweisen auf, vor der nachmittäglichen Fütterung waren diese Verhaltensweisen etwas geringer ausgeprägt. Nach den Fütterungen war es umgekehrt, die freundschaftlichen Interaktionen nahmen zu, die aggressiven ab. Dies veranschaulicht das besondere Konfliktpotenzial allgemein vor seltenen Fütterungen, da Hunger bei manchen Katzen aggressive Verhaltensweisen unterstützt bzw. Frustration auslöst, die die Tiere dann an wenig selbstsicheren Gruppenmitgliedern auslassen.
Da die Zeitspanne zwischen Nachmittags- und Morgenfütterung größer ist als zwischen Morgen- und Nachmittagsfütterung, kann man zumindest hier – aber sicher auch in den meisten Haushalten mit mehr als einer Katze – morgens mit größerem Hunger rechnen als nachmittags. Eine alternative Erklärung sind die stärkere Aktivitätsbereitschaft vor Fütterungen und die häufigeren unmittelbaren Begegnungen durch vermehrtes Herumlaufen (auf dem Boden) und Springen. Dies kann ich sogar in meinem „Wenigkatzenhaushalt“ mit derzeit zwei Katzen bestätigen. Eine Zunahme an Bewegung führt zu häufigeren spontanen Aufeinandertreffen, gefolgt von gelegentlichen agonistischen Verhaltensweisen wie Pfotenheben und -schlagen oder kurzen Verfolgungsjagden – dies jedoch generell mit großen individuellen Unterschieden.
Enrichment mit Regalen: Abbau verstärkte die Konflikte
Obwohl sich die Katzen nach den Fütterungen grundsätzlich friedlicher zeigten, nahmen nach dem Einbringen der zusätzlichen Regale die Auseinandersetzungen v.a. nach der Morgenfütterung deutlich ab, ein Zeichen für deren entspannende Wirkung. Durch diese vorteilhafte Struktur konnten sich die Katzen nach der Fütterung (zum Putzen) aus dem Weg gehen bzw. sich stärker abgrenzen als mit den zuvor wenigen bestehenden Strukturen. Interessant war der Befund, dass sich die Katzen mit zusätzlichen Regalen nach den Fütterungen seltener freundschaftlich verhielten als ohne diese. Wahrscheinlich konnten sie sich durch die Verstecke im Anschluss ans Fressen stärker zurückziehen, wodurch auch affiliative Verhaltensweisen abnahmen. Ohne die Regale gab es nach dem Fressen mehr Gelegenheiten für Fremdputzen und andere sozial positive Interaktionen. Nichtsdestotrotz fanden auch mit den Regalen freundschaftliche Interaktionen statt, jedoch stärker auf den gesamten Tag verteilt.
Enrichment mit Regalen: Regale lassen Aggressionen abnehmen
Nach dem Entfernen der Regale veränderte sich auch das Verhalten vor der Nachmittagsfütterung. Agonistische Verhaltensweisen nahmen nun deutlich zu. Man kann davon ausgehen, dass die Katzen durch ihre Versteckmöglichkeiten in den Regalen Auseinandersetzungen vermeiden konnten, ihnen nach der Entfernung der Regale diese Konfliktlösungsmöglichkeit aber nicht mehr zur Verfügung stand. Daher fielen sie wieder in alte Verhaltensmuster zurück bzw. waren „kritischen“ Situationen ausgesetzt. Interessant: die Auseinandersetzungen zeigten sich stärker ausgeprägt als vor dem Aufstellen der Regale. Erklärt werden kann das mit der entstandenen Frustration bzw. dadurch, dass den aggressiven Gruppenmitgliedern durch die zusätzlichen Verstecke der „unterlegenen“ die Möglichkeit zu Auseinandersetzungen fehlte und sie diese später deutlicher zum Ausdruck brachten – ein Rebound-Effekt.
Fazit
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen nicht nur, dass Katzen den verfügbaren Raum im stark beschränkten Gehege durch Einbringen zusätzlicher Strukturen besser nutzen, sondern auch, dass diese die Ausprägung agonistischer Verhaltensweisen positiv beeinflussen. Interessant war das Ausmaß besonders der aggressiven Verhaltensweisen, obwohl die Katzen entweder verwandt oder gut bekannt und alle kastriert waren – Effekte, die Aggression i.d.R. reduzieren. Die Autoren vermuten, dass es sich dabei weniger um aggressiv motivierte Verhaltensweisen im engeren Sinne handelte als vielmehr um ritualisierte Abläufe oder Merkmale einer Dominanzhierarchie, die schon von mehreren Katzenforschern für manche Katzengruppen angenommen wurde. Dazu passt auch die Beobachtung, dass sich ebenfalls die Häufigkeit freundschaftlicher Verhaltensweisen änderte, zumindest im Anschluss an die Fütterungen. Die Regale verringern also die Häufigkeit von Begegnungen und das Auftreten von Ritualen positiver wie negativer Art.
Quelle: Desforges, E.J., A. Moesta & M.J. Farnworth (2016): Effect of a shelf-furnished screen on space utilisation and social behaviour of indoor group-housed cats (Felis silvestris catus). – Applied Animal Behaviour Science, 178: 60–68.
Diplom-Biologin Birgit Rödder
Die Diplom-Biologin Birgit Rödder studierte Biologie an der Universität Bonn und Tierpsychologie an der Open University of Veterinary Science in London. Sie ist seit 1997 selbstständig als Tierverhaltenstherapeutin und Tierpsychologin tätig, hat für die ATN mehrere Skripte zur Ethologie der Hauskatze verfasst und betreut unsere Studierenden der Katzenverhaltensberatung und der Tiergestützten Arbeit mit Katzen als Tutorin und Dozentin. Als echte Spezialistin in Sachen Katzenverhalten hat sie den Buchmarkt mit zahlreichen Publikationen bereichert, darunter etwa die „Katzen Clicker-Box“ und „Was Katzen wirklich wollen“ in Zusammenarbeit mit Dr. Mircea Pfleiderer. Als ATN-Dozentin lehrt Birgit Rödder bereits seit 2009 die Ethologie der Katze und im Bereich Tierpsychologie u.a. die Themen Lernverhalten, Verhaltenstherapie und Mehrkatzenhaltung.
Webseite: katzenkundig.de