Richtiges Anweiden: Hufrehe bei Pferden vermeiden

Pferde richtig anweiden: Auf so einer saftigen Wiese können Pferde erst nach erfolgter Umstellung ganztägig weiden ©Patricia Lösche

Pferde richtig anweiden: Ein großes Thema für alle, die ihrem Pferd nach dem Heuwinter endlich Weidegang und frisches Gras gönnen möchten. Aber für die Umstellung sollte dem Pferd Zeit gegeben werden. Auch wenn Weidegang artgerecht und deshalb wünschenswert ist: Auf Ungeduld bei der Umstellung reagieren viele Pferde mit Kolik, Kotwasser oder mit der gefürchteten Hufrehe. Warum? Weil eine radikale Veränderung in der Zusammensetzung des Futters im Pferdeorganismus nicht eingeplant ist. Eine zu schnelle Umstellung auf Weidehaltung ist darum nicht zu empfehlen.

Besonders im Frühling, wenn das junge Gras einschießt, kann die zu schnelle Umstellung auf Weidehaltung zu gesundheitlichen Komplikationen führen. Kann das Gras die aufgenommene Energie unter bestimmten Witterungsbedingungen (siehe Kasten) nicht in Wachstum übersetzen, lagert die Pflanze überschüssige Energie als Zucker ein. Fruktane sind ein solcher Zucker-Energiespeicher. Zuviel davon verändert die Verdauung des Pferdes. Eine Hauptrolle spielen dabei die Mikroorganismen im Darm, die Darmflora (Mikrobiom).

Die Bedeutung des Mikrobioms

Eine gesunde Darmflora setzt sich aus vielen unterschiedlichen Bakterienspezies zusammen, hauptsächlich nützlichen, aber auch weniger guten. Sie schlüsseln die Nahrung auf und machen sie für den Organismus bioverfügbar. Nur durch ein gesundes Mikrobiom können Nährstoffe aus der Nahrung vom Körper überhaupt verwertet werden.

Auch Menschen und andere Säugetiere sind auf die Mitwirkung einer gesunden Darmflora angewiesen, und die Zusammensetzung des Mikrobioms ist fast so individuell wie ein Fingerabdruck. Seine große Bedeutung für den Organismus wurde erst in jüngerer Zeit erkannt und die wissenschaftliche Erforschung nimmt seit einigen Jahren stark an Fahrt auf.

Nice to know: Fruktane

Fruktane sind Mehrfachzucker (Kohlenhydrate), sogenannte Oligo- und Polysaccharide. Gebildet werden sie – neben anderen Zuckern – von Pflanzen, die Stärke als Energiespeicher nutzen. Süßgräser gehören dazu. Aus ihnen bestehen unsere Weiden zum großen Teil. Im Frühjahr, wenn die Sonne schon scheint, die Temperaturen aber noch niedrig sein können, nehmen die Gräser mehr Energie auf, als sie über das Wachstum verbrauchen. Den Überschuss lagern sie unter anderem in Form von Zucker, insbesondere Fruktane, als Energiereserve ein. So wie wir Fett einlagern, wenn wir mehr Energie aufnehmen als verbrauchen.

Auch im Spätherbst bei vergleichbaren Witterungsbedingungen oder bei großer Trockenheit kann es dazu kommen. Pferde, die Hufrehe-empfindlich sind, sind darum nicht nur im Frühjahr, sondern auch im Herbst gefährdet. Lange wurden Fruktane als ausschließliche Reheauslöser gesehen, heute geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus bei der Entstehung einer Fütterungsrehe. Um eine solche handelt es sich im Zusammenhang mit der Umstellung auf Weidehaltung.

Pferde richtig anweiden
Das richtige Anweiden von Pferden beginnt mit wenigen Minuten täglich ©Patricia Lösche

Mikrobiom-Verschiebung durch falsches Anweiden

Wie hängen zu schnelles Anweiden und Hufrehe nun zusammen. Die Mikroorganismen, aus denen sich das Mikrobiom des Magen-Darm-Traktes zusammensetzt, sind an eine relativ konstante Futterzusammensetzung und ein dadurch ebenfalls konstantes Darmmilieu angepasst, das nicht zu sauer sein darf. Ändert sich das Futter langsam, dann verändert sich die Zusammensetzung der Darmflora allmählich, weil sich diejenigen Bakterien, die an die neue Futtersituation besser angepasst sind, verstärkt vermehren. Verdauungsproblemen wird dadurch vorgebeugt.

Erfolgt eine Umstellung der Fütterung zu schnell, nimmt das Pferd dabei zu viele Kohlenhydrate in kurzer Zeit auf. Darauf ist das Mikrobiom nicht vorbereitet. Das ist der Fall bei zu raschem Anweiden, kann aber auch durch anderes kohlenhydratreiches Futter (Brot, Getreide, Obst) passieren. Bis zu vier Kilogramm Gras frisst ein Pferd. Stündlich. Bei einer radikalen Umstellung auf Grasfütterung kommt dadurch einiges an Fruktanen zusammen und die Verdauung gerät aus dem Gleichgewicht.

Übersäuerung und Gärprozesse im Darm

Fruktane werden vom Pferd erst im Dickdarm verdaut, der „Gärkammer“ in der Pferdeverdauung, in der Millionen von Bakterien die Nahrung aufschlüsseln und bioverfügbar machen. In geringerer Zahl leben auch Fäulnisbakterien hier. Sie verarbeiten Proteine, die bis dahin nicht verdaut wurden. Ein Vorgang, bei dem die Fäulnisgase Schwefelwasserstoff, Kohlendioxid und Methan entstehen. In einem gesunden Darmmilieu halten sich „gute“ und Fäulnisbakterien aber die Waage.

Der riesige Blinddarm (Cäcum)  des Pferdes gehört zu diesem Darmabschnitt. Bis zu einem Meter lang ist er, mit einem Fassungsvermögen von bis zu 34 Litern. Etwa 20 Stunden arbeiten die Mikroorganismen des Blinddarms daran, den Nahrungsbrei in Nährstoffe zu verwandeln. Wird auf das langsame Anweiden verzichtet, gelangen zu viele Kohlenhydrate in zu kurzer Zeit in den Blinddarm, die Gärprozesse setzen Milchsäure frei und er übersäuert. Den Fäulnisbakterien bietet das angesäuerte Milieu optimale Lebensbedingungen. Sie vermehren sich überproportional und verdrängen zunehmend die „guten“ Bakterien.  

Es kommt zum Massensterben dieser säureempfindlichen Bakterien und das bakterielle Gleichgewicht im Darm kippt (Dysbiose). Dabei entstehen Zerfallsprodukte und bilden körpereigene Giftstoffe (Endotoxine). Das ist der Startschuss für die Entwicklung einer Hufrehe. Außerdem kommt es zu Darmproblemen wie Kolik und Kotwasser. Sogar Muskelprobleme können entstehen. Nichts davon ist dem Pferd zu wünschen.

Richtiges Anweiden ist keine Marotte

In einer ersten Zusammenfassung können wir also sagen: Junges Frühjahrsgras (auch das Heu daraus!) enthält besonders viele Kohlenhydrate in Form von Fruktan: bis zu 50 Prozent in der Trockensubstanz. Nicht leistungsangepasstes, kohlenhydratreiches Futter führt insbesondere bei einer zu schnellen Umstellung der Fütterung zur Dysbiose und begünstigt dadurch die Entstehung einer Hufrehe. Richtiges Anweiden von Pferden ist also keine Marotte, sondern dient der Prophylaxe von Erkrankungen.

Nice to Know: Anatomie des Pferdehufes

Von außen sichtbar ist die Hornkapsel. Sie wird aus unterschiedlich aufgebauten Hornstrukturen gebildet. Von oben nach unten sind es Saumhorn, Kronhorn und Wandhorn. Außen wird der Huf von der Glasurschicht geschützt. Innen liegt der Hornkapsel die extrem gut durchblutete Huflederhaut an. Sie verbindet die Hufkapsel mit dem Hufbein.

Die Hufunterseite wird nach außen abgeschlossen durch das Sohlenhorn. Ihm liegt innen die ebenfalls gut durchblutete Sohlenlederhaut auf. In dieser Hufkapsel befindet sich nach vorne ausgerichtet das Hufbein, an dem die tiefe Beugesehne ansetzt. Nach hinten ausgerichtet Sesambeine und Strahlbein. Ihm ist der Hufrollenschleimbeutel aufgelagert, auf dem die tiefe Beugesehne gleitet. Zwischen ihr und der Sohlenlederhaut liegt das Strahlkissen

Pferde auf der Koppel
Auch Gräser auf dauerhaft kurzverbissenen Pferdekoppeln lagern vermehrt Fruktane ein ©Patricia Lösche

Beginnende Hufrehe: Die Symptome

Hufrehe (Laminitis) kann verschiedene Ursachen haben. Eine davon ist die Fütterungsrehe, die durch zu schnelle Umstellung auf Grasfütterung im Frühjahr entsteht, also durch einen Haltungsfehler. Medizinisch handelt es sich um eine aseptische Entzündung der Huflederhaut. Das bedeutet, nicht eine bakterielle Infektion verursacht die Entzündung, sondern die oben beschriebenen körpereigenen Endotoxine.

Chronische oder beginnende Hufrehe ist nicht immer leicht zu erkennen, weil die Symptome wenig spezifisch sind:

  • Hufe werden weniger gern gegeben
  • Pferde treten kürzer und laufen ungern auf hartem Boden
  • enge. Wendungen werden vermieden
  • Hufe werden vorsichtiger und eher auf den Trachten aufgesetzt
  • unklare leichte Lahmheiten
  • Abdrücken mit der Hufzange eventuell mit diffusem Schmerzbefund
  • Hufe leicht warm
  • eventuell bereits leichte Pulsation der Zehenarterie (rückseitig seitlich oberhalb des Fesselkopfes)  
  • Wechselseitiges Anheben der Hufe zur Entlastung
  • Verbreiterung der weißen Linie bei einer chronischen Hufrehe

Das passiert bei einer Hufrehe

Akute Hufreheschübe sind dagegen für Pferde extrem schmerzhaft und sehr eindeutig in der Symptomatik. Die Tiere liegen häufiger und verweigern die Bewegung. Sie entlasten den schmerzhafteren Zehenbereich der Hufe, indem sie das Gewicht durch vermehrte Lastaufnahme im Trachten- und Ballenbereich nach hinten verlagern (Sägebockhaltung). Sind die Hinterbeine ebenfalls betroffen, was seltener vorkommt, werden sie weit unter den Körper geschoben.

Was verursacht diese Schmerzen? Kommt es zu einer Huflederhautentzündung, wie Hufrehe auch genannt wird, schwillt die Huflederhaut an. Aber weder nach innen noch nach außen kann sie sich ausdehnen. Nach außen wird sie von der wenig flexiblen Hornkapsel daran gehindert, nach innen durch das Hufbein. Platz für anschwellendes Gewebe gibt es im Huf nicht. Mit der Schwellung baut sich darum im Huf zunehmend Druck auf und verursacht immer stärker werdende Schmerzen und Gewebeschäden.

Je früher die Behandlung einsetzt, desto eher können dauerhafte Schäden vermieden werden. Schon beim ersten Verdacht sollte der Tierarzt gerufen und gegebenenfalls Maßnahmen eingeleitet werden. Denn mit dem Druck verschließen sich die vielen feinen Blutgefäße der Huflederhaut, die Blutzufuhr und damit die Versorgung des Hufes wird zunehmend beeinträchtigt. Es kommt zur Mangelversorgung des Hufes, die sich später in Form sogenannter „Reheringe“ zeigt, deutlich erkennbare, charakteristische Rillen im Hufhorn.

Hufe kühlen
Erstmaßnahme Hufe kühlen: Kaltes Wasser reicht nicht. Die Hufe am besten in Eiswasser stellen. Dafür eignen sich TK-Transporttüten mit crushed ice, das etwa alle vier Stunden erneuert wird ©Patricia Lösche

Laminitis macht Pferde lange unreitbar 

Ein schwerer Reheschub kann dazu führen, dass sich die Hornkapsel löst und das Pferd ausschuht: Es verliert die Hornkapsel und das Hufinnere liegt frei. Das ist ein hochdramatisches, extrem schmerzhaftes Geschehen und das Pferd muss dann meist eingeschläfert werden.

Wird die Laminitis chronisch, kann das Hufbein seine Position verändern und mit der Spitze durch die Hufsohle stoßen (Hufbeinrotation). Dann läuft das Pferd auch ohne auszuschuhen auf dem ungeschützten Knochen. Nur mit extrem hohem Behandlungsaufwand, der sich über viele Monate hinzieht und ergänzt werden muss durch aufwändige Spezialbeschläge, kann das Pferd unter Umständen trotzdem noch zu retten sein. Beides braucht hochqualifizierte Spezialisten. Die sind rar und teuer. Vor dem Pferd liegt dann ein langer Leidensweg ohne Erfolgsgarantie.

Aber auch ohne die ganz große Katastrophe sind die Pferde lange unreitbar und brauchen fortan ein sehr genaues Futtermanagement, damit es nicht zu einem erneuten Reheschub kommt. Wie beim Ausschuhen bleibt in schlimmen Fällen mit mehrfachen Reheschüben am Ende oft nur noch die Euthanasie.

Esel auf der Weide
Esel reagieren noch empfindlicher auf zu nährstoffreiches Weidegras und bekommen dann ebenso wie Pferde, Ponies und Maultiere Hufrehe ©Patricia Lösche

Korrekte Futterumstellung durch langsames Anweiden

Dazu muss es nicht kommen. Wichtig ist ganzjährig und flexibel leistungsangepasstes, fachgerechtes Futtermanagement. Das Pferd soll nicht mager, aber schlank sein. Das ist neben richtigem Management des Weidegangs eine gute Prophylaxe. Denn schon Übergewicht allein kann zu einer Hufrehe führen und erhöht für gefährdete Pferde das Risiko.

Damit sich das Mikrobiom an die veränderte Zusammensetzung des Futters anpassen kann, muss die Umstellung ganz allmählich erfolgen. Das gilt im Prinzip für jede Futterumstellung. Vor allem bei leichtfuttrigen Pferden und Ponies ist Vorsicht beim Anweiden geboten. Anfangs nur wenige Minuten, dann täglich eine Viertelstunde länger über einen Zeitraum von etwa zwei, besser vier Wochen. Damit verlängert sich die tägliche Weidezeit alle vier Tage um eine Stunde. Nach vier Wochen Umgewöhnung werden daraus nach diesem Schema etwa sieben Stunden Weidezeit. Danach hat sich die Verdauung des Pferdes an die Grasfütterung angepasst.

Folgen und Prophylaxe

Nach überstandener Laminitis bleibt ein Pferd grundsätzlich anfällig, weil die Hufe vorgeschädigt bleiben. Trotzdem kann das Pferd, wenn die Entzündung der Huflederhaut abgeheilt ist, wieder geritten werden. In welchem Ausmaß hängt davon ab, ob es zu einer Hufbeinrotation oder Hufbeinsenkung gekommen ist. Ohne Absenkung wird es möglicherweise keine Nutzungseinschränkung geben. Bei einer Absenkung von mehr als acht Grad wird das jedoch der Fall sein. Wichtig ist daher die Vermeidung:

  • langsames Anweiden
  • alle Futterumstellungen müssen grundsätzlich langsam erfolgen
  • wechselnden Fruktangehalt aufgrund von Witterungsbedingungen beachten
  • für übergewichtige Pferde nur limitierter Weidegang
  • grundsätzlich bedarfsgerechte Fütterung

Wer sein Pferd auch im Winter während eines Ausrittes oder Spaziergangs regelmäßig grasen lässt, hält dessen Mikrobiom „geimpft“ und die Umstellung ist weniger risikobehaftet. Pferde mit ganzjährigem Weidegang haben meist keine Umstellungsprobleme, weil sich für sie die Veränderung der Vegetation allmählich vollzieht. Genug Zeit für die Darmbakterien, sich sukzessive anzupassen. Aber die Ganzjahresweide eignet sich nicht für alle Pferde und alle Böden. Faustregel: Je leichtfuttriger das Pferd, desto weniger nährstoffreiches Gras. Das gilt vor allem für die Ponyrassen und Arabisches Vollblut. Es gilt für alle Pferde, die nur wenig körperlich gefordert werden. Hat das Pferd bereits eine Laminitis hinter sich, ist das Risiko für erneute Schübe erhöht. Bei starker Gefährdung ist Weidegang dann kaum noch oder nicht mehr zu empfehlen.

Wer Esel hält, der sollte noch vorsichtiger sein. Auch sie können Hufrehe bekommen. Und weil sie erheblich leichtfuttriger als die Pferdeverwandtschaft sind, ist der Energieturbo im Frühlings- und Herbstgras für Esel noch problematischer.

Übrigens: Pferdeverhaltensberater können auch bei Haltungsfragen kompetent beraten. Oder wollen Sie selbst umfangreiches, wissenschaftlich fundiertes Fachwissen erwerben? Dann können Sie sich auf unserer Lehrgangsseite über eine Ausbildung zum Pferdeverhaltensberater an der ATN informieren.

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Patricia Lösche

Patricia Lösche ist freie Autorin, Text- und Bild-Journalistin. Der Dolmetscher-Ausbildung folgten Biologie- und Journalistik-Studium, freier und redaktioneller Journalismus für verschiedene große Verlage. Später dann die Ausbildung zur Tierheilpraktikerin an der ATM und die Tierpsychologie-Ausbildung an der ATN. Empathie, Achtung und Verständnis auf Augenhöhe im Umgang mit Tieren sind Patricia Lösche ein besonderes Anliegen.

Seit 2014 schreibt sie für ATM und ATN Blogbeiträge, ist Autorin zahlreicher Lehrskripte mit einem breiten Fächerkanon und betreut als ATN-Tutorin Studierende unterschiedlicher Fachbereiche. In die Wissensvermittlung fließen mehrjährige Praxis-Erfahrungen aus der naturheilkundlichen und verhaltenstherapeutischen Behandlung von Pferden, Hunden und Katzen ebenso ein, wie die jahrzehntelange Erfahrung eigener Pferde-, Hunde- und Katzenhaltung. Sie ist Mitglied im Fachverband niedergelassener Tierheilpraktiker (FNT) und 1.Vorsitzende im Berufsverband der Tierverhaltensberater und –trainer (VdTT).

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