Sind wir für Katzen Personal oder Fels in der Brandung? – Photocreo Bednarek – stock.adobe.com
Katzen sind rätselhaft. Die einen lieben innigen Kontakt zum Menschen, andere halten lieber Distanz. Können Katzen überhaupt eine enge Beziehung zum Besitzer aufbauen? Bisherige Untersuchungen dazu kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Aber wie gut ist die Beziehung zwischen Mensch und Katze denn nun wirklich? Wir haben drei wissenschaftliche Studien zum Thema für Sie unter die Lupe genommen. Und die neueste von ihnen spricht Katzenhaltern aus der Seele.
Die Beziehung zwischen Mensch und Katze gibt noch immer Rätsel auf. Manche Katzen können vom Schmusen mit dem Lieblingsmenschen nicht genug bekommen, andere sind zurückhaltend und scheu, die nächsten tolerieren ihren Menschen, bleiben aber distanziert oder fahren ihre Krallen aus, kaum dass man in ihre Nähe kommt. Und dann gibt es noch die notorischen Einzelgänger. Können Katzen sich überhaupt an Menschen binden? Oder sind wir am Ende doch nur Personal?
Das Verhältnis zwischen Katze und Mensch zu untersuchen ist schwierig. Grundsätzlich sind Untersuchungen zum Bindungsverhalten möglich, in der Humanpsychologie gibt es dazu verlässliche Methoden. Verwendet wird dazu ein von der Amerikanerin Mary Ainsworth entwickelter Test zur differenzierten Beurteilung der Bindung von Kleinkindern an ihre Bezugspersonen (Strange Situation Test / SST).
Unterschieden werden heute in absteigender Bindungsintensität:
- sichere Bindung
- unsicher-ambivalente Bindung
- unsicher-vermeidende Bindung
- desorganisierte Bindung.
Für valide Ergebnisse muss der SST in der Tierverhaltensforschung an deren artspezifisches Verhalten angepasst werden, auch für die Untersuchung des Bindungsverhaltens von Katzen wurde er modifiziert.
Sicherheit und Bindung
Eine „sichere Bindung“ bedeutet, sich bei der Bezugsperson (Mutter, Pfleger) sicher und geborgen zu fühlen. Ihre Gegenwart ermöglicht vertrauensvolles Erkundungsverhalten auch in fremder Umgebung.
Als Bindungsmerkmale gelten:
- Nähe und Kontakt zur Bezugsperson beibehalten zu wollen
- bei ungewollter Trennung gestresst zu reagieren
- bei der Rückkehr Zeichen der Freude zu zeigen
- bei Verunsicherung durch die Umgebung den Partner als sicheren Hafen aufzusuchen
- sich mit ihm als sicheren Ausgangspunkt vorzuwagen und selbstsicher zu agieren.
Katzenliebe – so wurde sie getestet
Die jüngste Studie zum Bindungsverhalten bei Katzen kommt zu dem Ergebnis, dass sich die meisten von ihnen ähnlich eng an ihre Halter binden wie kleine Kinder an ihre Bezugsperson. Schon 2007 war eine Studie zur Bindungsfähigkeit von Katzen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Anders dagegen eine Untersuchung, die 2015 durchgeführt wurde. Der Testaufbau der drei Studien war uneinheitlich.
Die meisten Katzen entwickeln eine gute Bindung zur ihrem Lieblingsmenschen (© Africa Studio – stock.adobe.com)
Bei Edwards et al. (2007) waren Katze und Halter zunächst allein im Testraum, dann folgten verschiedene Situationen, in denen sowohl Halter als auch eine fremde Person Kontakt zur Katze aufnahmen, sie streichelten oder sie zum Spielen aufforderten. Das Ergebnis: Katzen suchten häufiger Kontakt zur Bezugsperson als zum Fremden, interagierten mehr mit ihr und untersuchten den Raum bei ihrer Anwesenheit länger – ein Zeichen ihrer Gelassenheit. Bei Abwesenheit des Halters hielten sie sich näher an der Tür auf, waren wachsamer als in den anderen Situationen sowie (angespannt) inaktiver. Dieses Verhalten weist eindeutig auf eine bestehende Bindung hin.
Alice Potter und Daniel Mills standen dem kritisch gegenüber und überprüften 2015 das Bindungsverhalten mit einem eigenen veränderten SST: Katze, Halter und Fremdperson betraten gleichzeitig den Raum. Die Katzen wurden häufiger alleine gelassen. Im Gegensatz zur ersten Studie absolvierten die Katzen zwei Testdurchläufe. Einmal verließ der Halter, einmal die Fremdperson als erstes den Raum. Nach zwei Wochen wurde der Versuch in umgekehrter Reihenfolge wiederholt.
Dadurch konnten die Autoren so genannte „Reihenfolge-Effekte“ identifizieren. Beispielsweise hielten sich manche Katzen unterschiedlich lange in der Nähe der Tür auf, wenn sie mit der fremden Person alleine waren, je nachdem, ob diese Einheit nah am Beginn des Tests oder an dessen Ende lag. Das Verhalten der Katzen veränderte sich also mit der Reihenfolge. Führten gleiche Testeinheiten zu unterschiedlichen Resultaten, wurden sie als nicht zuverlässig von der weiteren Auswertung ausgeschlossen. Das war sehr häufig der Fall und die Autoren werteten dies als Indiz für eine fehlende Bindung an den Halter.
Der Aufbau der Studie könnte allerdings zu einem falschen Ergebnis geführt haben, denn
- im Laufe des ca. 30 Minuten dauernden Tests hatten sich einige Katzen möglicherweise an die unbekannte Situation und den Fremden gewöhnt.
- der ständige Wechsel kann ohnehin verunsicherte Tiere stark überfordert und dadurch die Wiedererkennung des Halters erschwert haben. Zumal beide Personen ihre Plätze mehrmals tauschten und die Versuche schweigend durchgeführt wurden.
Nur in einem Punkt gab es zwischen Fremdperson und Halter signifikante Unterschiede: die Katzen vokalisierten mehr, wenn ihre Halter sie mit dem Fremden allein ließen, als umgekehrt. Dies werteten die Autoren aber nicht als Indiz für eine sichere Bindung. Allerdings räumt Daniel Mills ein, dass Katzen durchaus zu sicheren Bindungen in der Lage sind, es sei aber nicht typisch für sie.
Katzenverhalten: Einzelgänger und Gruppentier, beides ist möglich (© Patricia Lösche)
Die neue Katzenstudie
Das Forscherteam um Katzenexpertin Kristyn R. Vitale untersuchte 2019 das Bindungsverhalten der Katzen in einem Secure Base Test (SBT/Sichere Basis Test). Das einfachere Studiendesign verhinderte Reihenfolge-Effekte und das Risiko einer Überforderung der Katzen wurde geringgehalten. Analysiert wurde ausschließlich das Verhalten der Katzen zur menschlichen Bezugsperson in einem unbekannten Raum. Der Halter saß auf dem Boden, was beruhigend wirkte. Hielten sich die Katzen im Umkreis von maximal einem Meter Abstand zum Halter auf, durften sie angesprochen und gestreichelt werden, außerhalb nicht. Der Test bestand nur aus 3 Teilen von je 2 Minuten Dauer: (1) Halter und Katze kamen in den Raum und Halter setzte sich auf den Boden, (2) Halter ließ die Katze allein und (3) Halter kam zurück und setzte sich wieder auf den Boden. Getestet wurden 108 Katze-Halter-Paare, 38 erwachsene und 70 junge Katzen (Edwards: 28 Tiere, Potter & Mills 18 Tiere).
So binden sich Katzen
Die vier Bindungsstile definierte das Team um Vitale wie folgt:
- sicher: Katze geht auf Interaktionen des Halters ein; begrüßt ihn aktiv und offen; sucht Nähe; nach der Rückkehr des Halters spielt sie oder erkundet den Raum
- unsicher-ambivalent: übertriebene Suche nach Nähe und „Klammern“ an den Halter; wehrt sich aber möglicherweise auch gegen das Festhalten.
- unsicher-vermeidend: kaum mehr Stress, wenn der Halter den Raum verlässt; reagiert kaum auf die Rückkehr; Interaktionen ignoriert sie oder wendet sich ab, wehrt sich aber nicht; steht oft außer Reichweite
- unsicher-unorganisiert: vermeidet Annäherung oder reagiert beim Wiedertreffen ängstlich, z.B. rennt sie fort vom Halter; umkreist ihn weiträumig oder schwankt zwischen Annäherung und Meidung (Konfliktverhalten); wandert ziellos umher; zeigt Stereotypien („einfrieren“ oder zwanghaftes Putzen)
Katzen sind oft sicher an ihre Halter gebunden
Die gute Nachricht für Katzenhalter: Zwei Drittel der erwachsenen Katzen (66%) zeigten im Test von Vitale et al. eine sichere Bindung zu ihrem Menschen. Erkennbar daran, dass ihre Stressreaktionen (Unruhe, Vokalisation) nach Rückkehr des Halters nachließen zugunsten einer Balance zwischen Kontaktsuche und Erkunden des Raums in entspanntem Zustand. Ihnen standen gut 34% mit unsicherem Bindungsverhalten gegenüber. Damit reagieren Katzen sehr ähnlich wie Kleinkinder (65% sicher, 35% unsicher) und Hunde (58% sicher, 42% unsicher) in vergleichbaren Tests.
Katzen sind einzelgängerisch veranlagt, können aber durchaus auch gesellig sein. Anders als für Hunde oder Menschen ist für sie eine sichere Bindung zu anderen Individuen aber weniger relevant, da sie an ein unabhängigeres Leben angepasst sind. Es ist also „typisch Katze“, dass einige sich stundenlang alleine beschäftigen, während andere stark gestresst reagieren, wenn „ihr“ Mensch nicht erreichbar ist. Je früher sie Menschen positiv kennenlernt und auf sie sozialisiert wird – das geschieht am sichersten und stabilsten zwischen der 2. und 7. Lebenswoche – um so eher entwickelt sie später eine positive Beziehung zu ihren Haltern. Zwar bauen auch ältere Katzen oft noch großes Vertrauen zu Menschen auf, brauchen jedoch deutlich mehr Zeit als bei der besonders nachhaltigen frühen Sozialisation.
Erfahrungen mit Menschen in der Kindheit der Katze, ihre Persönlichkeitsmerkmale, die ihrer Halter und der Umgang mit ihnen bestimmen das Bindungsverhalten der erwachsenen Katze. Einflussfaktoren, mit denen sich die Ausbildungen der ATN mit Schwerpunkt Katze sehr intensiv und auf hohem wissenschaftlichen Niveau beschäftigen. Ob eine Katze solitär oder sozial lebt und in welchem Ausmaß, wird stark durch die genannten Faktoren, aber auch durch den „Lebensstil“ beeinflusst. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Studien, der durchaus die Ergebnisse beeinflusst haben kann, betrifft den Lebensraum der Katzen. Die Teams um Edwards und Vitale untersuchten Katzen aus reiner Wohnungshaltung, bei Potter & Mills waren mit einer Ausnahme alle Katzen Freigänger, die sich oft unabhängiger verhalten als reine Wohnungskatzen.
Letztendlich bestimmt auch unsere Fürsorge, ob sie in uns Stressoren, „Personal“ oder Vorbilder und den „sicheren Fels in der Brandung“ sehen. Ein Stück Unabhängigkeit sollten wir unseren Stubentigern jedoch lassen, um Trennungsstress vorzubeugen.
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Quellen:
Edwards, C., M. Heiblum, A. Tejeda & F. Galindo (2007): Experimental evaluation of attachment behaviors in owned cats. – Journal of Veterinary Behavior, 2: 119-125. (paywall)
Potter, A. & D. S. Mills (2015): Domestic Cats (Felis silvestris catus) Do Not Show Signs of Secure Attachment to Their Owners. – PLoS ONE 10(9): e0135109. doi:10.1371/journal.pone.0135109. (open access)
Kristyn R. Vitale, Alexandra C. Behnke, Monique A.R. Udell (2019): Attachment bonds between domestic cats and humans (Current Biology, Band 29, Ausgabe 18; paywall)
Lauren Scott, Brittany N. Florkiewicz: Feline faces: Unraveling the social function of domestic cat facial signals; Behavioural Processes, Nov. 2023, vol. 13 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0376635723001419
Diplom-Biologin Birgit Rödder
Die Diplom-Biologin Birgit Rödder studierte Biologie an der Universität Bonn und Tierpsychologie an der Open University of Veterinary Science in London. Sie ist seit 1997 selbstständig als Tierverhaltenstherapeutin und Tierpsychologin tätig, hat für die ATN mehrere Skripte zur Ethologie der Hauskatze verfasst und betreut unsere Studierenden der Katzenverhaltensberatung und der Tiergestützten Arbeit mit Katzen als Tutorin und Dozentin. Als echte Spezialistin in Sachen Katzenverhalten hat sie den Buchmarkt mit zahlreichen Publikationen bereichert, darunter etwa die „Katzen Clicker-Box“ und „Was Katzen wirklich wollen“ in Zusammenarbeit mit Dr. Mircea Pfleiderer. Als ATN-Dozentin lehrt Birgit Rödder bereits seit 2009 die Ethologie der Katze und im Bereich Tierpsychologie u.a. die Themen Lernverhalten, Verhaltenstherapie und Mehrkatzenhaltung.
Webseite: katzenkundig.de